Die Oatly-Kontroverse: Wie politisch ist Hafermilch?

Wir alle wissen: Wer heute am lautesten moralisiert, kann morgen schon einen riesigen Shitstorm an der Backe haben. Und je erfolgreicher du moralisierst, desto stinkender wird im Zweifelsfall der Gegenwind.

Oatly Kommentar Uebersicht

Wir alle wissen: Wer heute am lautesten moralisiert, kann morgen schon einen riesigen Shitstorm an der Backe haben. Und je erfolgreicher du moralisierst, desto stinkender wird im Zweifelsfall der Gegenwind.

Wenn’s danach geht, bräuchte Hafermilch-Magnat Oatly derzeit eine ganze Batterie an Streichhölzern, um den Güllegeruch um sich herum zu vertreiben. Denn es wurde gerade bekannt, dass das Unternehmen aus Schweden zehn Prozent seiner Anteile an eine Investmentfirma namens „Blackstone“ verkauft hat.

Blackstone ist die Original-Heuschrecke, ein gesichtsloser und finanzkräftiger Krake, der in praktisch jeder Branche seine Tentakel drin hat. Blackstone mischt beispielsweise beim Fotospezialisten Leica mit und unterhält Hilton Hotels, besitzt zahllose Wohnungen an den unwahrscheinlichsten Orten (wie Kiel) – und ist nun auch Anteilseigner beim Milchalternativen-Helden Oatly.

Diese Zusammenarbeit wirkt zwar auf den ersten Blick ein bisschen schief, ist an sich aber noch kein Anlass zu all den Boykottaufrufen, die seit Anfang September durch die Medien geistern. Man muss allerdings nicht tief graben, um den wirklich müffelnden Haken an der Sache zu finden:

Blackstone ist (ausgewiesener) Trump-Unterstützer und Umweltzerstörer. Oatlys Message lautet „We promise to be a good company”.

Ääähm ….

Schadenfreude gegen den Milch-Moralisten

Es kommt nicht von ungefähr, dass in der Medien-Empörung auch ein bisschen Schadenfreude mitschwingt. Denn mit Slogans wie „It’s like milk but made for humans“ hat es Oatly geschafft, allen ein schlechtes Gewissen einzujagen, die für ihren Kaffee immer noch am Euter nuckeln.

Laut Branchenangaben hat sich der Umsatz von Oatly innerhalb von sieben Jahren auf rund 200 Millionen Dollar verzehnfacht. Die Nachfrage nach Milchalternativen ist enorm und steigt beständig an. Mindestens seit der Einführung der Barista-Edition ist Oatly führend, wenn es um die Sichtbarkeit von Haferdrinks und Co geht.

Aus unternehmerischer Sicht ist Wachstum hier also nicht nur ein finanzielles Ziel, die Marke kann gar nicht anders. Alle wollen Oatly, alle sollen Oatly bekommen. (Schnelles) Wachstum ist aber nicht ohne Geld zu haben. Für Geld braucht es Investoren.

Eine Investmentgesellschaft wie Blackstone wäre unterdessen komplett dumm, sich nicht an einem Markt zu beteiligen, der so explodiert wie der vegane „Lifestyle“.

Hier stehen also alle Zeichen auf Win-Win für beide Seiten.

Und wenn wir es nüchtern betrachten, kann es uns nur recht sein, dass vegane Unternehmen die konventionellen Industrien nach und nach „verdrängen“.

Doch da beginnt bereits das Problem:

Wir sehen Unternehmen wie Oalty als kuschelige Nachbarschaftsbetriebe, die in der Hinterhofgarage für eine bessere Welt kämpfen. Darum sind wir auch etwas naiv und glauben, dass sich Big Business und Message ausschließen. Bei Moralmarken singen im Hintergrund immer leise Oompa Loompas von grünen Wiesen und Gemeinschaftsutopie.

Werden wir aus diesen Vorstellungen gerissen, reagieren wir gern etwas schreckhaft und laut. Ich erinnere mich noch, als Alpro 2016 in einer ähnlichen Kritik stand, weil die damals so gehypte Sojamilch plötzlich von Danone kam.

Spätestens hier kommen Trends als Empörungsbeschleuniger ins Spiel. Wären wir nämlich damals nicht alle so dermaßen auf Sojamilch als Ersatz für Kuh abgegangen, hätte uns bereits vor vier Jahren etwas über Oatly klar werden müssen:

2016 kaufte sich auch der chinesische Staatsapparat bei den Schweden ein. Seitdem hält China Ressources 40 Prozent an Oatly. Trotzdem gelang der Vorzeigeaufstieg zur ersten Adresse für eine bessere Welt beim Kaffeetrinken.

Ach ja, seit 2019 machen Starbucks und Oatly gemeinsame Sache. Halten wir Starbucks für ein „gutes“ Unternehmen? Ich nicht. Ihr? Warum jetzt also die Empörung bei Blackstone?

Der „Wir-gegen-die“-Faktor

Im Gegensatz zu Starbucks und selbst China steht Blackstone für alles, was uns am Turbokapitalismus (zurecht) Angst macht: Eine einzige Riesengesellschaft hat ihre Finger in allem drin – und wir haben keine Ahnung, in was eigentlich. Solche Kraken scheren sich einen Scheiß um die Welt oder um Politik – zumindest solange nicht, wie ihre eigenen Interessen davon unberührt bleiben.

Oatly Kommentar Leitbild Firma

Blackstone hält nachweislich Anteile an Firmen, die einen Großteil der weiterhin anhaltenden Zerstörung des brasilianischen Regenwalds verantworten. Außerdem ist CEO Stephen Schwarzman ein glühender Anhänger von Trump und soll drei Millionen Dollar in dessen Wahlkampf investiert haben.

Geht das irgendwie klar? Natürlich nicht. Ist das mit dem veganen Moralisten-Image von Oatly vereinbar? Ebenfalls nicht.

Ist das die traurige Realität einer völlig ambivalenten Gesellschaft? Leider.

Man muss sich nur mal angucken, was für Leute am vergangenen Samstag Seite an Seite mit Nazis vor dem Reichstag in Berlin rumgeturnt sind. Vegan und faschistische Weltanschauung schließen sich leider nicht mehr aus. Siehe ein gewisser Aluhut-Koch.

Dennoch: Oatly war in unserer Wahrnehmung bisher einer von den Guten. Das liegt einerseits am wirklich hervorragenden Marketing und der damit transportieren Message.

Vielleicht liegt es auch am „schwedischen Nimbus“. Über die Vergangenheit des Ikea-Gründers will ich gar nicht erst reden.

All das führt dazu, dass die Boykottaufrufe gegen den Hafermilchmacher zu einer teilweise recht undifferenzierten Empörungskultur führen: „Oatly gehört jetzt nem Trump Spender“ sagt ein Post.

Das ist falsch. 10 Prozent an Blackstone lassen immer noch 90 Prozent bei Oatly. Wenn wir die 40 Prozent an Peking vernachlässigen.

Allerdings ergeben die zehn Blackstone-Prozent ganze 150 Millionen Pfund, wie Oatly in einer Stellungnahme an die Aktivistin @Less Waste Laura geschrieben hat.

Noch viel wichtiger ist am Ende die Frage, wie der Hafermacher diese Widersprüche erklärt. Und ich finde, wir sollten ihm zuhören.

Das sagt Oatly

Der ziemlich ausführliche Instagram-Post von Less Waste Laura und ihr Tweet haben eine Antwort von Oatly nach sich gezogen. Es gab auch Reaktionen auf deutsche Tweets und Nachfragen. Unterm Strich sehen die Schweden das so:

Steering the world’s capital towards more sustainable companies is part of that [big shift in plant-based movement]!

Und

Wir bleiben das gleiche Unternehmen wie zuvor, mit der Mission, den Wandel hin zu einer pflanzlichen Ernährung weltweit voran zu treiben. Hierzu bedarf es nicht nur Veränderung in den Köpfen der Menschen (1/3), sondern auch finanzwirtschaftliche Veränderung, denn es sind auch die großen Kapitalströme, die mitverantwortlich für die Klimakrise sind, in der wir bereits knietief stecken. Wir hoffen, dass die Finanzwelt den Erfolg unserer Nachhaltigkeits- und Geschäftsziele erkennt.

Oatly Kommentar Twitter Antwort Angelika

Weniger verschwurbelt heißt das: Rin in die Organisation und von innen uffmischen! Und einmal schwingt wieder ein bisschen Moralkeule mit:

Wir denken, dass die Zusammenarbeit mit einer der größten Private-Equity Firmen ein deutliches Zeichen für den Rest der globalen Finanzwelt ist …

Mit anderen Worten: Wir Gutmenschen bringen der bösen Finanzwelt jetzt mal ein bisschen Nachhaltigkeit bei.

Obwohl der erste Reflex richtig ist, diese halbgare Antwort zurückzuweisen, können wir den Gedanken doch nicht ganz wegschieben: Damit sich etwas an der globalen Lebensmittelwirtschaft und unserem Umgang mit Ressourcen ändert, muss irgendwer auf breiter Fläche anfangen.

Breite Fläche klappt aber nicht als Nischenfirma, sondern nur mit den einflussreichen Kraken, aus denen die Wirtschaft nun mal besteht.

Was bleibt vom Boykott?

Wenn wir es nüchtern betrachten, dann sagt die Empörung mehr über uns als Konsumenten aus, als uns lieb sein dürfte. Da wird eine Marke dafür verantwortlich gemacht, dass man zu faul ist, sich mit den tatsächlichen Strukturen und Bedingungen des dahinterstehenden Unternehmens zu beschäftigen. Siehe China, Starbucks …

Außerdem ist es geradezu lächerlich, ausgerechnet bei Hafermilch die Packung Oatly in die Kamera zu halten und ein dickes, fettes Canceled drunterzuschreiben. Ginge es uns wirklich darum, mit unserer Entscheidung für Hafermilch die Welt verändern zu wollen, würde jeder den Krempel selbst herstellen! Das ist ultra einfach und ultra günstig! Siehe mein Ratgeber zu veganen Milchalternativen.

Oatly Kommentar Mandelmilch selbst herstellen

Mit dem Boykottaufruf gegen Oatly schieben wir also einmal mehr die Verantwortung in die Schuhe irgendwelcher Firmen, obwohl sie eigentlich bei uns Konsumenten liegt!

Und noch mehr: WIR haben Oatly groß gemacht, weil uns das sexy Branding so angesprochen hat! WIR sorgen dafür, dass die Schweden mehr Geld brauchen (wollen). Andere Hafermarken mit (augenscheinlich) blütenweißer Weste sind seit Jahr und Tag am Start, werden aber von keiner Sau dermaßen beachtet.

Darum wüsste ich nicht, warum wir große Boykotte ausrufen sollten. Wir sollten den Mund halten und unsere eigenen Gewohnheiten hinterfragen. Genauso, wie unsere Liebe zu shiny Moralisten-Marketing.

Und wie seht ihr das? Lasst uns gern in den Kommentaren diskutieren!

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