Die World of Coffee ist wie Fashion Week – nur wichtiger.
Die World of Coffee ist wie Fashion Week – nur wichtiger.
Unter den Coffee Festivals hat sich das wandernde Event der Specialty Coffee Association (SCA) zu einem Termin gemausert, den sich jeder Röster, Hersteller und Fan schon Jahre vorher im Kalender markiert.
Deshalb war es natürlich klar, dass auch wir von Coffeeness dabei sein mussten, wenn diese Pflichtveranstaltung in Berlin stattfindet. Wir haben uns für euch durch die Messehallen treiben lassen und mal geschaut, was die Szene gerade so macht.
Zwar haben wir keinen übergeordneten Trend entdecken können, doch eines steht fest: Die Kaffeeszene wächst und wächst – und ist trotz Professionalisierung, Standardisierung und Strukturierung immer noch angenehm spielfreudig. Das zeigt sich in Zwischentönen, die man selten so geballt an einem Ort findet.
Inhaltsverzeichnis
Handarbeit bleibt Handarbeit
Im Gegensatz zur IFA und ähnlichen Consumer-Messen würde sich kein Aussteller trauen, seinen Stand bei der World of Coffee mit einem Vollautomaten zu bestücken. Siebträgermaschinen in allen Formen und Ausführungen sind hier das Maß der Dinge – und werden präsentiert wie Luxuskarossen. Wenn man sich den Preis mancher Geräte ansieht, ist das auch kein Wunder.
Handfilter-Hersteller Hario war zwar mit einem eigenen Stand vertreten, hätte sich ihn aber genauso gut sparen können. Denn praktisch alle Röster verkosteten ihre aktuellen Kaffeebohnen über die manuelle Filtermethode mit dem V60.
Diese Betonung der Handarbeit bei der WoC unterstreicht nicht nur das Selbstverständnis der Szene. Ich finde, sie unterstreicht auch, welches Zielpublikum die Messe wirklich anspricht: nicht den 0815-Consumer, aber auch nicht den Superprofi.
Wenn ihr denkt, dass die WoC eine Sammlung elitärer Selbstdarsteller ist, stimmt auch das nicht. Ehrlich gesagt war ich von der Lässigkeit und Entspanntheit, dem gut gemischten Publikum und der Stimmung insgesamt ziemlich begeistert. Schließlich sagt man der Kaffeeszene gern Snobismus und Überheblichkeit nach. Davon war aber nichts zu spüren.
Ticketpreise um die 40 Euro, ein langwieriger Registrierungsprozess und trotzdem eine Offenheit für die Allgemeinheit siedeln die WoC irgendwo an der gehobenen Schnittstelle zwischen Hersteller, Profi und Enthusiast an.
Dieses Selbstverständnis sorgt auch dafür, dass sich die Aussteller das ganze Brimborium und BlingBling bei ihren Messeauftritten sparen und lieber ihre Produkte in den Mittelpunkt rücken. Das bewahrt vor Reizüberflutung und schärft den Sinn für die eigentliche Sache.
Auf dem Foto seht ihr mich mit dem Coffee Sergeant und Siggifly Coffee.
Die WoC ist indes nicht nur Messe, sondern auch Austragungsort unterschiedlicher Weltmeisterschaften im Cupping, für Latte Art oder Barista-Tätigkeiten. Zwar bin ich nicht sonderlich an diesem Teil der Kaffeewelt interessiert, aber eines muss ich euch sagen:
Wenn ihr mal richtig angenehm meditieren wollt, setzt euch bei einer Kaffeemeisterschaft ins Publikum oder schaut euch einen Stream an. Es ist unfassbar beruhigend. Selbst mitfiebern funktioniert. In einer der Vorrunden für Latte Art zitterte ein Teilnehmer dermaßen heftig, dass ich die ganze Zeit fürchtete, er würde seine Tasse auskippen. Nervenkitzel pur!
Große Namen machen sich ganz klein
Die Dichte an unabhängigen und/oder kleineren Unternehmen auf der WoC ließ bewusst kaum Platz für große Marken, die sich bei solchen Veranstaltungen sonst immer dicke machen.
Es sähe einfach lächerlich aus, wenn zum Beispiel ein Unternehmen wie DeLonghi mit riesigem Siebträgerstand auf der World of Coffee aufschlagen würde, während nebenan ein „echter“ Könner im Siebträgersegment und eine unabhängige Rösterei zeigen, was die Qualitätsstandards für den gehobenen Anspruch sind. Nichts gegen DeLonghi, aber diese Marke ist harter Mainstream, der bei der WoC nur eine Randerscheinung ist.
Hier beim Cupping mit Chris von Mehrwert Kaffee.
Natürlich haben sich dennoch ein paar große Marken dazwischen „gemogelt“, sich aber offensichtlich so klein gemacht, dass man fast auf das Independent-Branding hereinfallen könnte.
Lavazza beispielsweise hatte eine Kaffeetheke aufgebaut, die alle Klischees der Szene bestens umsetzte – inklusive einer abenteuerlichen Ansammlung von Buzzwords wie „Nachhaltigkeit“, „Qualität“ und weiß der Geier was in einer einzigen Textzeile.
Der absolut kompetente Barista konnte aber trotz seiner Fähigkeit nicht dafür sorgen, dass die Special-Brasilien-Mischung unter dem Markendach „¡Tierra!“ nach mehr schmeckt als der typischen, bösartig sauren Lavazza-Brühe.
Der Pflanzendrink-Riese Alpro war hingegen auf den Neon-Chic-Zug aufgesprungen und brachte mich unfreiwillig zum Lachen: Erinnert ihr euch noch an meinen Artikel zum Thema Kurkuma Latte, wo ich am Ende fragte, welche Gemüse-Sau als nächstes durchs Kaffeedorf gejagt wird?
Ich kann es euch jetzt sagen: Alpro bot uns allen Ernstes einen Beetroot Latte an. Was passiert, wenn man Rote Beete mit gesüßter Pflanzenmilch mischt? Definitiv nichts Gutes! Die Mische war einfach grauselig.
Wie man „Downbranding“ richtet betreibt, zeigten indes einmal mehr der Messekönner von Melitta. Aber anders, als man denkt. Sie haben nämlich mit ERA das erste Produkt aus einem hauseigenen „Innovationshub“ vorgestellt, das so neu ist, dass es am Messestand nur Modelle zu sehen gab.
Innovationshub heißt, dass die Mitglieder dieser Tochtergesellschaft relativ frei an Zukunftsprodukten arbeiten können, letztendlich aber immer auf den Mutterkonzern Melitta zurückverweisen müssen. Diese Arbeitsweise bzw. Konzernstruktur ist der heiße Scheiß in der digitalen Wirtschaft.
ERA jedenfalls ist eine Kaffeemaschine, die zwar auf den guten alten Filterkaffee à la Melitta setzt, aber durch Augmented Reality, Appsteuerung, Vollautomatisierung und ein ausgesprochen großartiges Design völlig aus dem Rahmen fällt.
Der Witz daran ist, dass die einzelnen Maschinenkomponenten nicht wie bei der Kaffeemaschine mit Mahlwerk als Block zusammengefasst sind, sondern in Modulen auf einer Platte stehen, in der sich ein Haufen Zukunftstechnologie versteckt.
Geht es nach der Designerin und der Marketingmanagerin, dann wird dieses Ding ungefähr 2020 mit Innovationen wie automatischer Mahlgradeinstellung und auswechselbaren Wasserauslässen zu haben sein. Über Preise redet man hier nicht gerne. Aber stellt euch auf Zahlen ein, für die ihr auch einen sehr guten Kaffeevollautomaten bekommt.
Bis jetzt weiß ich nur, dass ich dieses Teil unbedingt testen will, wenn es soweit ist. Ob da genug Innovation unter dem Deckmantel ausgesprochen stylisher Great Gatsby-Ästhetik steckt, werden wir noch sehen müssen.
Bei Sage hatte man sich hingegen auf einen sehr nüchternen und bescheiden bemessenen Messestand geeinigt, der vor allem die neuen Siebträgermaschinen und Siebträgerhybriden wie die Sage Oracle Touch vorstellen sollte.
Das wirkte neben all den Luxus-Siebträgern schon fast niedlich, zeigte aber auch sehr gut, an wen sich das Unternehmen als Durchstarter auf dem deutschen Markt richten will – den Laien, der beim Anblick der Luxusmodelle Schweißausbrüche kriegt.
Was’n mit Kaffee?!
Ihr habt bestimmt schon bemerkt, dass ich noch gar nichts zum eigentlichen Kernprodukt dieser Messe gesagt habe. Das könnte daran liegen, das Kaffee hier wirklich an J-E-D-E-M Stand ausgeschenkt wurde und ich irgendwann den Überblick verloren habe, was mir jetzt eigentlich wo geschmeckt hat.
Vielleicht liegt es auch daran, dass sich in der Kaffeestilistik und bei den Röstern nach meinem Empfinden gerade wenig tut, was ich euch unbedingt zeigen müsste. Vielmehr habe ich das Gefühl, dass die Produzenten nach Jahren der Etablierung des Themas Kaffee nun daran gehen, ihre eigene Marke zu festigen und sich in der schieren Fülle an Röstern hervorzutun. Klassische Marktentwicklung also.
Das gelang zum Beispiel bei meinen guten Bekannten von Coffee Circle aus Berlin ganz gut, die auf der WoC das eigentliche Produkt – ihre Kaffees – mit einem Haufen Spiel- und Spaßstationen aufwerteten.
Eine Promoterin drückte es ziemlich gut aus: „Am Ende des Tages werden alle müde, nur über Kaffee zu reden und Kaffee zu trinken. Da ist ein bisschen Entspannung und Spielen doch super, um den Kopf frei zu bekommen.“
Ich habe noch ein wenig Kaffee zum Testen mit genommen. Einen Blend aus Kolumbien und Sumatra, den „Toleyo“ zum Testen im Kaffeevollautomaten und ein „Arbegona“ aus Äthiopien für meinen Handfilter. Das wird spannend.
Interessanterweise ist das Thema Cold Brew, das noch im vergangenen Jahr für so viel Furore sorgte, wohl inzwischen viel zu Mainstream für die WoC. Nur ein paar Stände zeigten sich mit Flaschenabfüllungen, Equipment war eigentlich nur unter „ferner liefen“ vertreten.
Dennoch will ich euch den Cold Brew von Etno Cafe vorstellen, den es bisher nur in Polen, aber wohl bald in Deutschland zu kaufen geben könnte.
Auch hier gab es Stand mit Spiel (Klebe-Tattoos, yeah!), und die meisten Geschmacksrichtungen haben mich nicht wirklich überzeugt. Die Version mit Orange ist aber wirklich erschreckend lecker – nicht nur für ein Fertiggemisch, sondern generell.
Ich habe es mir zudem nicht nehmen lassen, bei der Kaffeekooperative vorbeizuschauen, deren Engagement ich nun schon seit Jahren schätze und immer wieder gern publik mache.
Die Kooperative hat mit „Angelique’s Finest“ nun einen Kaffee im Angebot, der zu 100% von ruandischen Kaffeebäuerinnen hergestellt wird und das „female empowerment“ in der Kaffeeproduktion vorantreibt.
Die Röstung ist eine Zusammenarbeit mit der ruandische Frauenkooperative Rambagira Kawa, die dafür sorgt, dass die Kaffeebäuerinnen fair entlohnt werden und eigene Entscheidungen treffen können.
Die Kaffeekooperative in Deutschland ist nur dafür da, einen der wichtigsten Absatzmärkte aufzuschließen. Und das gelingt, denn Angelique’s Finest ist inzwischen auch im Onlineshop der wichtigsten deutschen Drogeriekette zu haben. Die Ladenbestückung soll folgen.
Angelique ist übrigens kein bloßer Markenname. Angelique ist die Initiatorin der ruandischen Frauenvernetzung – und eine Hammerperson, die in jeder Silbe für ihr Engagement lebt. Wir haben sie gefragt, was sie davon hält, dass ihr Name auf einer Kaffeepackung prangt. Sie sagte nur: „Wenn es auch nur einer Frau dabei hilft, sicherer und besser zu leben, dann kann ich damit sehr gut umgehen.“
Übrigens: Ich schreibe für euch demnächst mal einen ausführlichen Test zu dem Kaffee. Die Espressobohne ist nämlich eine gefällige, spritzig-vergnügliche Angelegenheit, die man wunderbar im Alltag trinken kann.
Direkt neben dem Stand der Kooperative mit seiner sparsamen Ausstattung wartete übrigens das genaue Gegenteil: ein sleeker, außergewöhnlich schön gestalteter Messestand einer Rösterei mit Sitz in Kuwait und Katar.
Geht es nur mir so, oder denkt ihr bei Third Wave-Kaffee auch nie an den Nahen Osten? Das ist eigentlich total hirnrissig, denn die Kaffeekultur in der Region war schon Tradition, als wir noch nicht einmal wussten, was Kaffee eigentlich ist.
Die Earth Roastery jedenfalls beherrscht die Klaviatur moderner Kaffee-Ästhetik perfekt – sowohl optisch als auch geschmacklich. Der Brasilianer beispielsweise ist ein Ausbund an frischer Präsenz, die ich euch demnächst noch einmal genauer vorstellen will.
In dem Test werde ich auch ein bisschen darauf eingehen, was sich im Nahen Osten gerade kaffeetechnisch tut. So viel sei verraten: eine Menge!
Das angenehme Dazwischen
Wenn ich mir die World of Coffee 2019 in Berlin so ansehe, dann finde ich, dass diese Messe im Vergleich zur IFA und zum Coffee Festival Berlin, die noch auf der Jahresagenda stehen, ein wunderbares Zwischensegment abdeckt:
Sie ist professionell, aber zugänglich. Es gibt genauso viel Nerdiges wie Spaßiges. Statt um Riesenkrawall geht es hier darum, die Könner der Szene zu präsentieren, ohne allzu elitär zu wirken. Die World of Coffee wirft ein angenehmes Schlaglicht auf den aktuellen Zustand der Kaffeewelt. Und wir kommen sehr gerne wieder!
PS: Wir haben auch die Nachhaltigkeitskonferenz besucht, die flankierend stattgefunden hat. Die war ein ganz anderes Kaliber. Auch dazu wird es einen Artikel geben. Und der hat sich gewaschen!
Wollt ihr noch mehr wissen? Dann hinterlasst einen Kommentar!