Kaffee pimpen, Stoffwechsel anregen: Gibt es den Koffein-Trick?

Moin! Ich bin Arne. Nach einigen Jahren als Barista habe ich mich einer Mission verschrieben: mehr guten Kaffee unter die Leute zu bringen. Dafür stellen mein Team und ich eine breite Wissensbasis zum Thema Kaffee für euch bereit.

Wie wir testen | Unser Team

Glaubt man vielen Fitness-Influencern und Pillendrehern, können wir unseren Stoffwechsel fast nach Belieben anregen, ankurbeln und optimieren. Insbesondere mit Kaffee bzw. Koffein. Und wir alle „wissen“: Ein reger Stoffwechsel hilft beim Abnehmen.

Glaubt man vielen Fitness-Influencern und Pillendrehern, können wir unseren Stoffwechsel fast nach Belieben anregen, ankurbeln und optimieren. Insbesondere mit Kaffee bzw. Koffein. Und wir alle „wissen“: Ein reger Stoffwechsel hilft beim Abnehmen.

In Wirklichkeit wissen wir einen Scheiß. Wie schon bei den Themen „Koffein und Sport“, „Koffein zum Abnehmen“ und „Kaffee und Schlaf“ musste ich auch bei den Recherchen zu diesem Thema feststellen, dass wir bequemen Versprechen lieber glauben als wissenschaftlichen Tatsachen.

Ich werde nie verstehen, warum wir ausgerechnet beim Kaffeekonsum jegliche Logik aus dem Fenster werfen. Bei der Ernährung allgemein stellen wir uns doch auch nicht so aufklärungsresistent an. 

Ich bin kein Arzt und kann auch nicht alle Facetten im Kaffee-Stoffwechsel-Komplex berücksichtigen. Ich kann euch aber Fakten präsentieren, mit denen ihr eure eigenen Einstellungen zu Ernährung, Gesundheit und eurem Kaffeekonsum besser einschätzen könnt.

Anschnallen, ankurbeln & beschleunigen: Was ist überhaupt der Stoffwechsel?

Für Bullshit-Artisten geht es beim Stoffwechsel vor allem um Kalorien, Abnehmen, Fettkiller-Qualitäten usw. Für unseren Körper geht es dabei ums nackte Überleben. Denn der Stoffwechsel (Metabolismus) ist der praktisch wichtigste Vorgang im Körper:

  • Umfasst alle biochemischen Zellprozesse, bei denen aufgenommene Stoffe verarbeitet, umgebaut, neu zusammengesetzt und ausgeschieden werden.

  • Bezieht die notwendige Energie (Kalorien) aus der Verdauung der aufgenommenen Nahrung.

  • Wird vom Hormon- und Nervensystem gesteuert.

  • Nutzt den Blutkreislauf als Autobahn für die Verteilung seiner Endprodukte.

Für alle drei Makronährstoffe (Eiweiß, Fettsäuren, Kohlenhydrate) sowie für Mineralstoffe laufen jeweils eigene Stoffwechselprozesse ab, die wiederum in zwei Arten unterteilt werden können:

  1. Aufbauender Stoffwechsel (Anabolismus): Beispielsweise die Umwandlung einfacher Kohlenhydrate aus Zucker in komplexe Kohlenhydrate zur Einlagerung.

  2. Abbauender Stoffwechsel (Katabolismus): Beispielsweise die Umwandlung komplexer Kohlenhydrate aus Depots zur Bereitstellung von Energie für Bewegung etc.

Schon diese Grunddefinition, die ihr ausführlicher bei der Apotheken Umschau nachlesen könnt, macht deutlich, dass wir permanent stoffwechseln – selbst, wenn wir schlafen oder absolut nichts tun. Der Stoffwechsel ist an Dingen wie dem Blutdruck genauso beteiligt wie am bloßen Vorgang des Kaffeetrinkens.

Stoffwechsel & Koffein-Versprechen: Worum geht es?

Dreh- und Angelpunkt aller Stoffwechsel-Claims ist der Energieumsatz im Körper – und eine bekannte Faustformel: Wer abnehmen will, muss weniger Energie zu sich nehmen, als er verbraucht. Calories in, Calories out.

Unser täglicher Energiebedarf setzt sich aus zwei Konzepten zusammen:

  1. Grundumsatz: Energiebedarf in völliger Ruhe zur Aufrechterhaltung aller elementaren Prozesse im Körper.

  2. Leistungsumsatz: Energiemenge zur Verrichtung von Tätigkeiten. Diese Tätigkeiten meinen alles vom Armheben bis zum Marathon.

Mit dem Grundumsatz (Resting Metabolic Rate oder Basal Metabolic Rate) wird ein riesiger Teil des Stoffwechsels abgedeckt. Und die Bedeutung des Grundumsatzes ist enorm: Die Wissenschaft geht von 60 bis 75 Prozent des täglichen Energieumsatzes aus (etwa Ruggiero et al. 2016). 

Ähnlich wie unsere Reaktion auf Koffein bzw. Kaffee hängt der tatsächliche Grundumsatz jedes Menschen von unzähligen Faktoren ab – und die meisten davon lassen sich nicht beeinflussen und erst recht nicht ankurbeln. Es ist nicht einmal sicher, wie der Grundumsatz exakt berechnet werden kann.

Immer wieder kommen Studien zum Ergebnis, dass der Grundumsatz falsch angesetzt wird oder nur für bestimmte Menschen auf bestimmte Weise gemessen werden kann (etwa Luy & Dampil 2018). Wer zumindest eine Idee erhalten will, kann zum Beispiel die Harris-Benedict-Formel nutzen. Diese wurde bereits 1919 entwickelt und geht so:

  • Frauen: 655,1 + (9,6 x Gewicht in kg) + (1,85 x Größe in cm) – (4,68 x Alter)

  • Männer: 66,47 + (13,75 x Gewicht in kg) + (5 x Größe in cm) – (6,76 x Alter)

Doch die schlechteste aller Nachrichten: Untersuchungen mit niedrigkalorischen Diäten legen nahe, dass wir unseren Grundumsatz nicht ändern können (etwa Arcon et al. 2023). Ihr könnt euch also gern mit reichlich Filterkaffee und Cappuccino in ordentliche Schlafstörungen süppeln: 

  • An bis zu 75 Prozent eures Bedarfs an Energie oder Kalorien könnt ihr (höchstwahrscheinlich) absolut nichts drehen.

Beim Leistungsumsatz sieht das schon anders aus. Jede Bewegung – es muss nicht einmal Sport sein – verbraucht zusätzliche Energie. Darum unterstreichen Wissenschaftler und ernsthafte Influencer auch die Bedeutung von NEAT-Aktivitäten:

NEAT steht für Non-Exercise Activity Thermogenesis und meint die Energieverbrennung, die ihr mit völlig alltäglichen Dingen „ankurbeln“ könnt (etwa Chung et al. 2018). Typische NEAT-Booster sind zum Beispiel tägliche Spaziergänge, Treppe statt Fahrstuhl usw.

Blocker oder Booster: Wie regt Kaffee den Stoffwechsel an?

Der wichtigste Koffein-Effekt ist seine Wirkung als Adenosin-Rezeptor-Antagonist: Koffein dockt an dieselben Rezeptoren im Gehirn an, die eigentlich für das Müde-Hormon Adenosin reserviert sind (zum Vergleich Rodrigo et al. 2010)

Gleichzeitig ist Koffein tatsächlich der Wachmacher, für den wir es halten und beeinflusst viele Aspekte des Stoffwechsels:

  1. Regt die Lipolyse als Fettabbau in den Zellen an (u.a. Tabrizi et al. 2018)

  2. Aktiviert den Blutkreislauf in Herz und Niere (etwa Institute of Medicine 2001)

  3. Stimuliert Aktiv-Hormone wie Dopamin oder Serotonin (u.a. Solinas et al. 2002)

  4. Regt Anti-Heißhunger-Hormone wie Leptin an ( Westerterp-Plantenga et al. 2005)

  5. Unterstützt die Muskelarbeit (etwa Warren et al. 2010)

  6. Fördert den Eiweißaufbau in Muskeln (Yokokawa et al. 2021)

Diese Wirkung begründet zum Beispiel die Einordnung von Koffein als Ergogenic, als leistungssteigernder Stoff im Sport (zur Übersichtn Pickering et al. 2019). 

Bevor ihr jetzt aber auf eine Espresso-Diät umsteigt: Viele Untersuchungen bestätigten, dass unerwünschte Nebeneffekte bei regelmäßigem oder hohem Kaffee-Konsum zunehmen, während die positiven Effekte möglicherweise abnehmen (etwa Lara et al. 2019).

Zudem können wir nicht einmal ansatzweise von einem echten Booster sprechen. Die leistungsfördernde Wirkung setzt nur ein, wenn ihr einen relativ hohen Koffein-Schwellenwert überschreitet, regelmäßig Sport treibt und nur von moderaten Effekten ausgeht (z.B. Westerterp-Plantenga et al. 2005 & Ramirez-Maldonado et al. 2021).

Andersrum: Verlangsamt oder hemmt Kaffee den Stoffwechsel?

Im Tanz um die Wachmacher-Wirkung wird gern der Cortisolspiegel ins Spiel gebracht. Cortisol ist das Stresshormon. Und dieses kann das Abnehmen tatsächlich behindern. 

Es gibt den Verdacht, dass Kaffee bei ohnehin gestressten Personen für noch mehr Stresshormone sorgt. Bisherige Untersuchungen haben oft nur eine kurzfristige Wirkung festgestellt, die sich oft auf bestimmte Personengruppen begrenzt (etwa Lovallo et al. 2006). Ganz vom Tisch ist der Verdacht jedoch nicht.

Wie wirkt Coffein auf Aufwachen?

Grundsätzlich können wir nur festhalten, dass ein „langsamer Stoffwechsel“ vor allem eine Frage der Genetik ist. Das Altern scheint ebenfalls eine Rolle zu spielen, jedoch anders als oft angenommen:

Im Alter verlieren wir Muskelmasse und damit einen Grund, warum unser Körper Energie verbrennt. Eine oft zitierte Studie von 2021 (Shur et al. 2021) hat dafür Hinweise gefunden.

Übertragen wir das auf Kaffee, kann dieser den „Verfall“ weder aufhalten noch beschleunigen. Wenn ihr euren Hintern aber auch mit über 60 bewegt und den Körperfettanteil überschaubar haltet, kann Kaffee die gleichen Vor- und Nachteile wie für Sportler jedes Alters entfalten.

Regt entkoffeinierter Kaffee den Stoffwechsel an?

Im Ratgeber zu Kaffee und Schlaf habe ich erläutert, dass unser Gehirn ab einer bestimmten Gewöhnungsstufe bei manchen Effekten keinen Unterschied mehr zwischen entkoffeiniertem und koffeinhaltigem Kaffee macht (z.B. Mills et al. 2023). 

Geht es um den Stoffwechsel, scheint sich dies zu bestätigen (zum Beispiel Olthof et al. 2011). Denken wir das weiter, verdichtet sich eher die Annahme, dass es beim Zusammenhang von Kaffee und Stoffwechsel vielleicht gar nicht ums Koffein geht…

Zwischenfazit: Ist Kaffee gut für den Stoffwechsel?

Espresso Glas Fokus

Espresso oder Filterkaffee haben immer eine Wirkung. Ob es sich dabei nun um mehr Energie oder einen Anschub für euren Bluthochdruck handelt. 

Aber sie können weder zu viele Kalorien wettmachen noch euren Körper dazu bewegen, seine genetisch bedingten Gewohnheiten zu ändern. 

Wenn ihr Zucker und Fett in rauen Mengen futtert und dann erwartet, dass Kaffee das Ganze wieder umkehrt, seid ihr auf dem Holzweg. Wenn ihr ohnehin viel Sport treibt, sorgt ein Schwarzer Kaffee höchstens dafür, dass ihr noch eine Runde dranhängen könnt. 

Sehen wir es also philosophisch: Kaffee ist in diesem Zusammenhang weder gut noch schlecht. Kaffee ist einfach.

Kaffee richtig trinken: Morgens auf leeren Magen oder mittags zum Mettbrötchen? 

Wenn wir schon bei Stoffwechseleien sind, können wir uns gleich noch einer interessanten Sonderfrage zuwenden: Wann richtet Kaffee den geringsten Schaden an?

Bereits mehrere Studien kamen zu dem Ergebnis, dass ihr euren Kaffee lieber erst nach dem Frühstück und keinesfalls zusammen mit einer Kippe trinken solltet (duh!). 

Es gilt mittlerweile als belegt, dass Nikotin die Wirkung von Kaffee bzw. Koffein verstärkt und möglicherweise sogar Suchtverhalten anschieben kann (Kristjansson et al. 2023).

Die Nach-dem-Frühstück-Regel hat wiederum etwas mit der körperlichen Reaktion auf die Zufuhr von Glukose (Zucker) zu tun (zum Vergleich Smith et al. 2020):

Arne trinkt Kaffee

Trinkt ihr Kaffee vor dem Frühstück, reagiert ihr auf eine anschließende Nahrungszufuhr mit einem höheren Insulin-Spike. Das wiederum sorgt für einen schnelleren Insulin-Abfall, der wiederum zu schnellerem und höherem Hunger führt. Gebt ihr dem Körper aber erst Essen, verläuft die Insulinkurve sanfter.

Wer Kaffee magentechnisch nicht verträgt, schiebt das oft auf die enthaltene Chlorogensäure. Die Forschung nähert sich aber immer mehr der Erkenntnis, dass diese Chlorogensäure eher positive Eigenschaften hat (zum Beispiel Santana-Galvez et al. 2021). 

Sollte euch der Bauch grimmen, wenn ihr euren Kaffee direkt nach dem Aufstehen trinkt, könnte es also an anderen Dingen liegen. Zum Beispiel an einer zu dunklen Röstung, mit zu viel (anderer) Säure, schlechten Bohnen oder einer für euch ungeeigneten Zubereitung.

Jasper Caven „Kaffee-Trick“: Wie mit einer Stoffwechsel-Formel Geld gemacht wird

Ich erzähle euch die ganze Geschichte nicht (nur), weil ich gerne Studien lese und klugscheiße. Ich möchte euch durch meine Erfahrung davon abhalten, auf solche Clowns reinzufallen, die uns mit unserem Halbwissen über den Körper, die Fettverbrennung und Nährstoffe abzocken wollen. 

Im Zusammenhang mit Koffein und Abnehmen gab es dafür jüngst ein exzellentes Beispiel: Ernährungsberater Jasper Caven hat eine „Stoffwechsel-Formel“ bzw. den „Morgen-Komplex“ entwickelt, die vor allem auf dem Verkauf von Büchern und Pillen beruhen.

Die Pillen auf Basis von Grüntee bzw. Koffein sollten euren Stoffwechsel praktisch zum Explodieren bringen und das Abnehmen zum Kinderspiel machen. Nie wieder Kalorien zählen! Nie wieder Sport! Her mit Zucker, Sahne und Steak! Ganz einfach mit dem Kaffee-Trick. Dass ich nicht lache… – Casper Javen.

Mit dieser Masche ist er eine ganze Weile durchgekommen und hat viel verdient. Vermutlich auch, weil er immer wieder von der wissenschaftlichen Basis seiner Rezepte gesprochen hat. Quarks und sogar RTL haben seinen Blödsinn inzwischen kritisch untersucht. Überraschung: Die einzig nennenswerte Zutat in seinem Abnehm-Boost ist Bullshit!

Sein Firmenkonstrukt ist nicht auf Anhieb durchschaubar. Auf Instagram hat er immer noch 164.000 Follower – und das, obwohl er nicht das einzige Negativbeispiel ist: Schon zehn Jahre zuvor war die TV-Persönlichkeit Dr. Oz in den USA in einen ähnlichen Scam mit Kaffee-Pillen verwickelt. 

Ist Kaffee eine Stoffwechsel-Rakete? Beruhigt euch mal!

Ich würde gern die Füße hochlegen, einen Filterkaffee oder Milchkaffee trinken und mir beim Abnehmen zugucken. Ich würde auch lieber mehr Kaffee als Wasser trinken können, ohne mir Sorgen um meine Blutgefäße oder meinen Darm machen zu müssen.

Guess what: So funktioniert weder Kaffee noch unser Körper! 

Ich glaube, dass wir im Innersten unseres Herzens wissen, dass Kaffee trinken in die fragile Balance unserer physischen Existenz eingreift. Ob so oder so.

Deswegen brauchen wir ein paar gute Gründe für dieses „Fehlverhalten“ – und schießen dabei mächtig übers Ziel hinaus. 

Hilft Kaffee beim Abnehmen? Nö. Ist Kaffee gesund? Wer weiß. Haben wir Entzugserscheinungen, wenn wir ihn nicht trinken? Aber hallo. Sollte uns das Sorgen machen? Das entscheidet ihr!

Welche Mythen im Spannungsfeld von Kaffee, Abnehmen, Gesundheit und Kalorien soll ich als Nächstes in ihre Einzelbestandteile zerlegen? Hinterlasst mir gern einen Kommentar.

Dein Kaffee-Experte
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Arne Preuss

Moin! Ich bin Arne. Nach einigen Jahren als Barista habe ich mich einer Mission verschrieben: mehr guten Kaffee unter die Leute zu bringen. Dafür stellen mein Team und ich eine breite Wissensbasis zum Thema Kaffee für euch bereit.

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Moin! Ich bin Arne. Nach einigen Jahren als Barista habe ich mich einer Mission verschrieben: mehr guten Kaffee unter die Leute zu bringen. Dafür stellen mein Team und ich eine breite Wissensbasis zum Thema Kaffee für euch bereit.

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