Ratgeber Kaffeewaage 2024: Warum reicht das Löffelmaß nicht?
Ist eine Kaffeewaage wirklich so wichtig? Reicht nicht auch die Küchenwaage? Und welche Modelle arbeiten präzise? Dieser Ratgeber klärt auf
Ist eine Kaffeewaage wirklich so wichtig? Reicht nicht auch die Küchenwaage? Und welche Modelle arbeiten präzise? Dieser Ratgeber klärt auf
Mein Motto bei der Kaffeezubereitung lautet: So präzise wie möglich – aber bitte nicht übertreiben. Gerade bei der Dosierung von Kaffee predige ich jedoch, dass sie den entscheidenden Einfluss auf das Endergebnis hat.
Ähnlich wie bei Tampern ist es daher merkwürdig, dass ich bis jetzt keinen Ratgeber zur Kaffee- und Espresso-Waage bzw. zur korrekten Dosierung von Kaffee geschrieben habe.
Wie bei den Tampern seht ihr in allen meinen YouTube-Videos immer wieder eine Feinwaage, ohne dass ich darauf näher eingehe.
Darum ist es an der Zeit, dass ich euch dieses Präzisionstool näher vorstelle. Ich gehe darauf ein, was der Unterschied zwischen stinknormalen Küchenwaagen und einer Kaffeewaage ist, stelle euch verschiedene Modelle vor und kläre, warum die Kaffeedosierung mit einem Löffel oder Kaffeelot zwar günstig, aber keine gute Idee ist.
Es gibt gute Gründe, warum zum Beispiel die viel gehypte Acaia Lunar Barista-Waage rund 280 Euro kostet, während ihr eine simple digitale Küchenwaage von Rossmann oder bei Media Markt bereits für unter zehn Euro erhaltet.
Selbst wenn ihr euch nicht für den wiegenden Rolls-Royce (und meinen persönlichen Testsieger aus dem Alltag) entscheidet, kostet ein Einsteigermodell wie die Tchibo Kaffeewaage immer noch knapp 30 Euro. Schauen wir uns diese drei Coffee Scales im Vergleich kurz in der Übersicht an:
Rossmann Küchenwaage | Tchibo Kaffeewaage | Acaia Lunar | |
---|---|---|---|
Maximales Gewicht in g | 5.000 | 3.000 | 2.000 |
Minimales Gewicht in g | 1 | 1 | 0,1 |
Messschritte in g | 1 | 0,1 | 0,1 |
Toleranz +/- in g | k.A. | k.A. | 0,05 |
Mit Timer | Nein | Ja (mit Stoppuhr) | Ja (mit Stoppuhr) |
Stromzufuhr | Knopfzellen | Batterien AAA | Akku |
Extras | – | – | Bluetooth 4.0, USB, App |
Bereits diese Tabelle erklärt, was die wichtigste Aufgabe von Kaffeewaagen ist: Sie sollen die benötigte Menge Kaffee für jede Zubereitungsart sowie die Kalibrierung von Maschinen präzisieren. Und das bis ins kleinste Körnchen.
Darum ist die Reaktionszeit echter Kaffeewaagen ungleich kürzer. Kippt ihr Kaffeemehl aus einem Küchenmodell in euren Handfilter oder Siebträger, habt ihr längst zu viel dosiert, bevor euch die Waage das überhaupt anzeigt.
Darüber hinaus messen Coffee Scales nicht nur das Gewicht, sondern auch die Zeit. Die Timerfunktion benötigt ihr bei der Ermittlung der optimalen Extraktionszeit am Siebträger.
Ist so viel Genauigkeit aber wirklich nötig? Brauche ich eine 280 Euro-Waage? Muss sie von einer Marke wie Tomopol oder Joe Frex sein? Wenn nein, wie viel sollte ich ausgeben?
Eure bevorzugte Zubereitungsmethode ist ein guter Hinweis darauf, welche Kaffeewaage sinnvoll ist. Und zwar nicht nur wegen der benötigten Präzision, sondern auch wegen des Equipments.
Der berühmte Hario V60 Dripper als Porzellanfilterhalter in der Größe 02 wiegt rund 500 Gramm. Nehmt ihr ein ähnliches Modell von Tchibo, sind wir schon bei rund 700 Gramm. Der Hario V60 Server als Kanne wiegt rund 400 Gramm in der 800 ml-Version.
Während das Kaffeepulver selbst bei großen Portionen nicht dermaßen ins Gewicht fällt, müssen wir das Wasser bzw. den fertigen Kaffee natürlich einberechnen. Gehen wir von einem Liter Wasser = 1 Kilogramm aus, würde es für Modelle wie die Acaia Lunar sehr eng werden.
Die Hario V60 Drip Scale als weiteres beliebtes Produkt hat ebenfalls nur eine maximale Wiegekraft von 2.000 Gramm. Gleiches gilt für die Brewista Smart Scale II. Tchibo lässt euch 1.000 Gramm mehr Freiheit bei der Wahl eurer Kaffeezutaten – und dementsprechend auch bei der zubereiteten Kaffeemenge. Bei der Zassenhaus Barista ist wiederum schon bei 500 Gramm Schluss – das macht sie für die Küche von Handfilterfans praktisch ungeeignet.
Es ist klar, dass ihr für Ultrapräzision Abstriche bei der Tragkraft machen müsst. Aber es passt auch zum Selbstverständnis der Specialty Coffee-Szene, dass niemand einen Liter besten Microlots auf einmal zubereitet. Bitte alles in kleinen Portiönchen! French Press im Litermaß? No way!
Davon abgesehen machen 0,1 Gramm bei einer Handfilterdosierung von rund 32 Gramm Kaffee auf 500 ml Wasser kaum einen Unterschied. Bei einem Espresso mit der Brew-Ratio von rund 7 Gramm auf 25 ml sieht die Sache komplett anders aus.
Zudem spielt die Extraktionszeit am Siebträger eine wichtige Rolle, auch wenn Profis weniger auf die typischen 25 Sekunden achten. Für sie ist noch wichtiger, wann die benötigten 25 ml in der Tasse ankommen – und zwar als rund 25 Gramm.
Die Zeitmessung an der Waage ist ein Kalibrierungstool, um die Extraktion insgesamt zu beurteilen – genauso, wie die Crema und der Durchlaufeindruck Kalibrierungstools sind.
In diesem Fall kommt es also darauf an, dass euch die Waage das Ergebnis anzeigt, sobald es erreicht ist – nicht erst, wenn die Automatik sich ausgekäst hat.
Das heißt nun nicht, dass ihr mit anderen Waagen als dem 300 Euro-Bluetooth-Ding weniger präzise arbeitet. Allerdings ist zum Beispiel die Hario Drip Scale für rund 60 Euro wesentlich reaktionslahmer als ihr es bei Espresso gebrauchen könnt. Gleiches gilt auch für den „Nachfolger“ Hario V60 Metal Drip Scale für rund 100 Euro.
Für die langsame Handfilterung ist Lahmarschigkeit, solange sie überschaubar bleibt, kein großes Problem. Ich sehe das als Ansporn, beim Aufgießen ruhiger, gleichmäßiger und langsamer vorzugehen.
Für Espresso seid ihr mit fixen Waagen wie der Brewista Smart Scale sehr gut bedient und zahlt dafür rund 90 Euro. Die Smart Scale macht zudem ein weiteres wichtiges Detail deutlich:
Eine Espresso-Waage muss direkt unter dem Auslauf platziert werden können. Eine Waage für alle anderen Methoden sollte groß genug sein, um auch mit der Grundfläche der größten Chemex etc. klarzukommen.
Die Faktoren Grundfläche, Reaktionszeit und Messpräzision gehen bei vielen Kaffeewaagen dermaßen Hand in Hand, dass sie sich oft für eine bestimmte Disziplin qualifizieren. Solltet ihr euch unsicher sein, hilft immer ein Blick auf euer Equipment und ein Griff zum Lineal!
An meiner Acaia Lunar oder an der günstigeren Acaia Pearl liebe ich nicht nur die Präzision. Auch die Möglichkeit, das Ding mit dem Smartphone per Bluetooth zu pairen, halte ich für eine feine Sache.
Nichts davon ist nötig. Manuell geht das alles auch. Aber als oller App-Kopp nutze ich die smarten Funktionen sehr gerne. Oder freue mich wenigstens, dass ich sie nutzen könnte.
Wenn wir davon ausgehen, dass ein Kaffeevollautomat zumindest annähernd Espresso machen kann, ist die Frage nicht weit, ob wir zur Kalibrierung nicht auch auf eine Waage setzen sollten.
Auch wenn ich in meinen Kaffeevollautomaten-Tests praktisch nie darauf eingehe: Meine Acaia Coffee Scale kommt immer zum Einsatz. Obwohl Vollautomaten Kompromissgeräte sind, gibt es nämlich reichlich Optimierungspotenzial.
Wenn ich euch predige, dass ihr die Kaffeemenge runterstellen, den Mahlgrad feiner tarieren und die Kaffeepulvermenge hochschrauben sollt, dann lohnt es sich zu checken, was das am Ende in der Tasse bedeutet.
Selbst mit den beschränkten Einstellmöglichkeiten eines Vollautomaten – insbesondere in Sachen Mindestfüllmenge – verändert sich nichts an den Parametern Dosierung, Durchlaufzeit und Kaffeemenge in der Tasse. Diese Faktoren überprüft ihr am einfachsten und sichersten mit der Kaffeewaage.
Doch selbst bei einem hochwertigen Vollautomaten wie dem Jura Z8 für mindestens 2.500 Euro müsst ihr keine teure Waage nehmen.
Einsteigermodelle wie die Coffee Gator Kaffeewaage oder sogar die Tchibo Kaffeewaage finde ich genauso in Ordnung. Nur eine olle Küchenwaage bringt mal wieder überhaupt nichts.
Im gleichen Maße gilt das eben Gesagte auch für Siebträger aus der Einsteigerabteilung. Dazu kauft ihr schließlich immer auch eine Mühle, die ihr erst einmal perfekt mit dem Siebträger abstimmen müsst. Die Waage ist der schnellste Weg zum Ziel. Selbst wenn ihr nur auf Einsteigersiebträger wie den DeLonghi EC 685 setzt.
Beim nächsten Preisschritt in Richtung „echter“ Siebträger landet ihr etwa bei der Solis Barista Gran Gusto. Sie ist erstaunlich präzise – vor allem, wenn es um die Abbildung falscher Zubereitungsparameter geht. Es lohnt sich, hier sehr genau zu werden.
Damit ist klar, dass selbst bei Anfängersiebträgern eine reaktionsschnellere Waage besser ist. Wir denken den Zubereitungsprozess nicht von der Tasse her, sondern beginnen bei der Mühle:
Ohne eine klare Vorstellung davon, wie viel 6 bis 8 Gramm Kaffeepulver im Siebträger sind, braucht ihr mit der Espressozubereitung gar nicht erst anfangen!
Da nicht einmal die „vernünftigen“ Mühlen aus dem Einsteigersegment Timer oder Waagen mitbringen, braucht ihr ein externes Werkzeug, um diese Grundbedingung der Kaffeezubereitung erfüllen zu können.
Stimmt hier etwas nicht, zieht sich der Fehler durch den gesamten Zubereitungsprozess. Selbstverständlich könnt ihr die Parameter auch mit Augenmaß und Ausprobieren ermitteln. Das kostet aber Zeit, Kaffeebohnen und Nerven. Sobald ihr die Röstung wechselt, fängt der Spaß von vorne an.
Preislich sollte die Waage in diesem Fall jenseits der Tchibo- oder Coffee Gator-Sphäre liegen. Wir brauchen mehr Präzision und eine schnellere Reaktionszeit.
Es ist so ähnlich wie bei der Mühle: Selbst zur günstigsten Siebträgermaschine lohnt sich bereits eine halbwegs versierte Espressomühle nebst ordentlicher Kaffeewaage, sonst ergibt der gesamte Versuchsaufbau keinen Sinn.
Es wäre zwar Quark, wenn eure Espressomühle 350 Euro kostet (Eureka Mignon), die Waage knapp 300 Euro (Acaia) verlangt und daneben ein DeLonghi Siebträger für 150 Euro steht.
Aber diese Kombination erzielt tausendmal bessere Ergebnisse, als wenn ihr eine 10 Euro-Küchenwaage nehmt, den Kaffee mit einer Rommelsbacher EKM 200 für rund 50 Euro mahlt und das Ganze dann in einer Rancilio Silvia für rund 630 Euro zubereiten wollt. Das wird Mist, auch wenn die Rancilio eine ausgesprochen großartige Espressomaschine ist.
Eine Brew-Station ohne Kaffeewaage ist unvollständig – auch wenn es bei der Handfilterung ohne geht. Ihr erleichtert euch jedoch das Aufgießen, wenn ihr die benötigte Kaffeemenge genau abwiegt, mit dem Timer die Bloomingphase kontrolliert und anschließend ein Auge auf den restlichen Aufguss habt.
Wie ich schon erwähnte, habe ich hier kein Problem mit Lahmarschigkeit und wüsste auch nicht, was gegen die Tchibo Kaffeewaage oder ähnlich günstige Modelle sprechen sollte. Solange es keine Küchenwaage ist (was zur Not auch ginge), fahrt ihr mit jeder Variante gut.
Achtet nur auf das messbare Gesamtgewicht und rechnet das Equipment mit ein. Stellt außerdem sicher, dass die Kanne vollständig auf der Waage und innerhalb des messempfindlichen Bereichs steht.
Wie viel Kaffeepulver pro Tasse ist nötig? Unter der Herrschaft der Kaffeemaschine lautete die Antwort stets: ein gehäufter Esslöffel pro Tasse plus einen für die Maschine.
Auch in meinen Kaffeemaschinen-Tests wende ich diese Mode an und bin immer wieder erstaunt, dass sie funktioniert. Denn ich habe keinen Plan, was da in den Filter gelöffelt wird. Aber eine Kaffeewaage zur Melitta-Maschine? Wozu?
Ich habe mir für diesen Test die Mühe gemacht und exemplarisch nachgewogen. Ein gehäufter Esslöffel, in diesem Fall mit einem recht fein gemahlenen Sidamo als Omniroast, entspricht 5 Gramm.
Ich erwähne Bohnensorte, Röstung und Mahlung, weil sie Einfluss auf das Gewicht haben. Ich hatte allerdings nur einen schmalen Löffel zur Hand und habe keine Vorstellung davon, wie haufig ein gehäufter Esslöffel sein soll.
Laut Brew-Ratio für Filterkaffee sind rund 7 Gramm auf 100 ml Wasser eine perfekte Ausgangsbasis. Der Pluslöffel für die Maschine scheint also darauf ausgelegt zu sein, Ungenauigkeiten aufzufangen.
Doch warum funktioniert das in der Kaffeemaschine so gut? Weil sie von Natur aus so schön unpräzise ist! Und auch, weil der typische Kaffee für die Kaffeemaschine meist aus unpräzisen Kaffeemischungen mit unpräziser Röstung besteht.
In dieser diffusen Zubereitungskette gibt es riesige Fehlertoleranzen, die sich am Ende in einem trinkbaren Kaffee bemerkbar machen.
Würde ich den schnuckeligen Sidamo in eine olle Melitta-Maschine nach diesen Augenmaß-Vorgaben kippen, wäre er nur noch halb so schnuckelig. Und es würde mir auffallen!
Wäre das mit einem Kaffeelot ebenso der Fall? Kommt drauf an.
Kaffeelot ist der Fachbegriff für die tiefmuldigen Portionslöffel, die es bei jeder Kaffeedose und beim Kauf so mancher Kaffeetüte dazu gibt. Füllt ihr das Kaffeelot bis zum Rand und streicht die Oberfläche glatt, sollen das 7 bis 8 Gramm Kaffeepulver sein.
Unter den gleichen Voraussetzungen – Sidamo, recht feine Mahlung, keine Ahnung, wie fest man streichen soll – zeigte meine Waage mit einem Kaffeelot 6,5 Gramm an.
Bei einer Kaffeemaschine kann ich 0,5 Gramm Abweichung verknusen. Da gehören Esslöffel und Kaffeelot nämlich hin. Die überschaubare Abweichung dürfte dafür sorgen, dass ich mit dem Kaffeelot in der Kaffeemaschine keine Probleme mit dem Sidamo kriege.
Vollständig wird das feinperlig-frische Aromengerüst des Äthiopiers dennoch nicht. Omniroast hin oder her. Denn die Unpräzision an der Kaffeemaschine in Verbindung mit einer Augenmaß-Dosierung nimmt selbst dem vielseitigsten Kaffee viel von seinem Charakter.
Habt ihr noch Fragen zur Kaffeedosierung oder der Waage? Dann hinterlasst gerne einen Kommentar!