Irgendwo habe ich jüngst eine Frage gelesen: Brauche ich einen Kaffeevollautomaten mit Mahlwerk? Erst habe ich ein bisschen überheblich gegrinst.
Irgendwo habe ich jüngst eine Frage gelesen: Brauche ich einen Kaffeevollautomaten mit Mahlwerk? Erst habe ich ein bisschen überheblich gegrinst.
Dann ist mir aufgegangen, dass wir uns im Kaffeevollautomaten-Test 2024 nie ausführlich darüber unterhalten, warum und wie ein bestimmtes Mahlwerk dafür sorgt, dass ein Kaffeeautomat im Test überzeugen kann.
Beim Thema Keramik oder Edelstahl ziehe ich mich häufig elegant aus der Affäre und sage diplomatisch, dass das Material eigentlich wurscht ist.
Aber stimmt das überhaupt? Welche Kaffeevollautomaten mit Keramikmahlwerk gewinnen den Vergleich – und hat das etwas mit dem Material zu tun? Ihr werdet sehen: Keramik ist kein Testsieger-Garant, wie uns die Werbung weismachen will.
Inhaltsverzeichnis
Keramik oder Edelstahl, Kegel oder Scheibe: Welches Mahlwerk ist besser bei Kaffeevollautomaten?
Bei der typischen Frage, welcher Kaffeevollautomat der beste für Zuhause ist, spielt ihr meist auf Features wie den Milchaufschäumer für Latte Macchiato oder die neuerdings beliebte Kannenfunktion an.
Nehmen wir aber alle Bauteile vom Bohnenbehälter bis zur herausnehmbaren Brühgruppe weg, ist das Mahlwerk die einzige Komponente, auf die es in der Bestenliste wirklich ankommt. Denn sie bestimmt, ob und wie eure Kaffeebohnen optimal für die Extraktion vorbereitet werden.
Seht es mal so: Ohne das Mahlwerk wäre euer Vollautomat nichts weiter als eine fancy Kaffeemaschine – oder eine rumpelige Variante des Siebträgers.
Bester Kaffee entsteht nur, wenn das Mahlwerk in der Lage ist, die Bohnen…
…gleichmäßig und homogen,
in größtmöglicher Feinheit,
mit möglichst wenig Hitzeentwicklung
und bei jedem Bezug gleich
zu mahlen. Diese vier Faktoren setzen sowohl Scheiben- als auch Kegelmahlwerke gekonnt um, wobei Kegel mit ihrer kompakteren Bauweise in Sachen Kaffeevollautomaten für Singles und kleine Küchen die Nase vorn haben. Der Krups EA8918 Evidence ist dafür ein aktuelles Beispiel.
Damit ein Scheibenmahlwerk annähernd die gleichen Ergebnisse erzielen kann, müssen die Scheiben einen bestimmten Durchmesser haben. Das sorgt für mehr Platzbedarf, größere Vollautomaten und damit auch für mehr Möglichkeiten an preissteigernden Features.
Kegelmahlwerke stehen im Ruf, durch ihre kegelige Bauform das Mahlgut schneller und mit weniger Hitze bearbeiten zu können.
Darum reicht hitzeanfälliger, aber günstigerer Edelstahl für Kegelmahlwerke meist auch aus. Das wiederum macht sich im Preis von Vollautomaten mit Edelstahlmahlwerk bemerkbar. Sie liegen im Vergleich immer unter den Kollegen mit Scheiben und Keramik.
Diese Kombination steht im anspruchsvollen Consumerbereich allerdings hoch im Kurs. Das hat teilweise psychologische Gründe. Und auch etwas mit cleverem Marketing zu tun.
Scheiben sind gegenüber Kegeln aufgrund der schwierigeren technischen Voraussetzungen für schnelles, hitzearmes Mahlen im Nachteil. Keramik ist daher nur ein Mittel zum Zweck, um diese Nachteile auszugleichen. Will heißen: Keramikscheiben halten die Temperatur niedriger.
Stellt euch dazu eine Tasse aus Edelstahl und einen Kaffeebecher aus Keramik vor. Kippt ihr heiße Milch, Kakao oder Tee hinein, könnt ihr den Keramikbecher trotz heißer Flüssigkeit gut anfassen.
Die Edelstahltasse birgt mehr Verbrennungsgefahr, je länger die Flüssigkeit drin ist. Rödelt das Scheibenmahlwerk also langsamer vor sich hin, ist Keramik ein Ausgleichsfaktor für die Temperaturentwicklung, weil Edelstahl zu heiß werden würde.
Auf der anderen Seite werden Keramikmahlwerke für ihre geringere Lautstärke geschätzt. Siehe Kaffeetassen-Beispiel: Beim Anstoßen merkt ihr, dass Stahl ordentlich scheppert, während Keramik freundlicher klingt.
Zusätzlich gilt für Keramik eine hohe chemische Beständigkeit sowie „biologische Kompatibilität“. Das heißt nichts weiter, als dass ein Keramikmahlwerk keinerlei Moleküle an die Kaffeebohnen abgibt.
Ich finde jedoch, dass wir diesen Punkt nicht überschätzen sollten. Ordentlicher Edelstahl schmeckt auch nicht nach rostigem Nagel. Und ich behaupte, dass den Unterschied wirklich niemand im Kaffee bemerken würde. Solange wir von einem ohnehin etwas grobschlächtigerem Vollautomaten reden.
Bei teuren Kaffeemühlen in Kombination mit einer sehr genauen Siebträgermaschine sieht das oft schon wieder anders aus.
Aber: Das Image von Keramikmahlwerken, wie es sich bei hochwertigen Profimühlen etabliert hat, sorgt eben auch bei Vollautomaten für eine perfekte Rechtfertigung eines bestimmten Preises.
Auf der anderen Seite sind Scheibenmahlwerke – wenn sie gut verarbeitet sind – ziemlich herausragend darin, die Kaffeebohnen besonders fein zu mahlen. Ihr könnt die Scheiben nämlich sehr eng aneinander bringen – enger als bei den meisten Kegeln. Das Material spielt hier zwar nur eine untergeordnete Rolle. Doch wie schon gesagt, gehen Scheiben und Keramik meist Hand in Hand.
Grundsätzlich könnten wir aus diesen Betrachtungen folgenden Doppelmerksatz ableiten:
Hochwertige Kaffeevollautomaten wie der Siemens EQ.6 plus s700 besitzen meist ein Keramikmahlwerk in Scheibenform und produzieren sehr feines Kaffeemehl für eine perfekte (und leise!) Extraktion. Das Material ergibt sich aus der Mahlwerkform, hat aber einen ziemlich großen Marketingwert.
Kompakte Kaffeevollautomaten bis 500 Euro setzen eher auf Edelstahl und das Kegelmahlwerk. Ob die Extraktion stimmt, ist so eine Sache. Siehe zum Beispiel der Alltime-Favorit für den kleinen Geldbeutel namens DeLonghi Magnifica ECAM 22.110.B.
Das wiederum dürfte auch mit der Grobschlächtigkeit der Materialoberflächen zu tun haben. Keramik ist feiner und geschlossener als es Edelstahl jemals sein könnte.
Allerdings habe ich für diesen gefühlten Unterschied bisher keine technischen Beweise. Jedoch habe ich offensichtliche Indizien in meinen Kaffeevollautomaten-Tests gefunden.
Siemens, Jura, DeLonghi: Welche sind die leisesten Kaffeevollautomaten mit Keramikmahlwerk?
Schön, dass wir die Mahlwerkfrage endlich mal geklärt haben. Doof, dass ihr die grundsätzlichen Erkenntnisse in der Praxis meist vergessen könnt.
Der Philips Kaffeevollautomat 3200 Latte Go besitzt beispielsweise ein Keramikmahlwerk in Scheibenform, klingt aber wie ein scheppernder Haufen Edelstahl.
Interessanterweise ist das ein typisches Philips-Problem, das sich auch in der 5000er-Serie bei Modellen wie dem Philips Ep5365/10 oder dem EP 5335/10 fortsetzt. Beim Philips EP2220/10 ist die Keramik zwar wesentlich leiser, dafür brüllt die Pumpe rum.
Mit Preisen zwischen unter 300 Euro und rund 600 Euro ist die EP-Reihe von Philips eher im unteren Mittelfeld angesiedelt. Könnte das ein Hinweis auf die Qualität und Lautstärke des jeweiligen Keramikmahlwerks sein?
Vielleicht. Denn zum Beispiel der Melitta Purista mit seinem Kegelmahlwerk aus Edelstahl ist für unter 300 Euro angenehm leise. Auch der Melitta Barista TS Smart macht mit einem ähnlichen Mahlwerk für rund 600 Euro kaum Ohrenschmerzen.
So geht das bei vielen anderen Edelstahlkegeln weiter: Ich habe meist weniger zu meckern als bei mittelpreisigen Keramikscheiben.
Warum? Siehe oben: Wenn wir Keramik nur als „Ausgleichsmaterial“ verstehen, scheint das eigentliche Problem in der Gesamtverarbeitung des Scheibenmahlwerks zu bestehen.
Da uns die Werbung jedoch beigebracht hat, dass „Scheibenmahlwerk aus Keramik“ ein Synonym für beste Mahlergebnisse und korrekte Preis-Leistung ist, versuchen viele Hersteller, mit dieser Kombi zu locken.
Im Test zeigen sich dann aber zwangsläufig Schwächen, weil der Vollautomat zu „günstig“ ist. Das beweist sich spätestens dann, wenn wir die Preisschraube ordentlich andrehen.
Schon viele haben es versucht, doch bisher sind alle am Siemens EQ.9 gescheitert. Als leisester Kaffeevollautomat im Test spielt das derzeit beste Siemens-Modell alle Vorteile der Keramikscheibe aus. Für konstant knapp um 1.000 Euro kann man es kaufen.
Aus dem Stand fällt mir tatsächlich keine günstigere Keramikscheibe ein, die leiser wäre. Es braucht eben ordentliche Materialien und die richtige Präzision. Und das kostet.
Aber warum setzt dann zum Beispiel DeLonghi immer auf Edelstahlkegel und liefert hier vom kleinsten Vollautomaten bis zum Premiummodell wie dem DeLonghi PrimaDonna Class immer wieder überzeugende Geräuschkulissen ab?
Weil man eben auch ein Edelstahlmahlwerk „dämpfen“ kann, sodass es ohne Krach arbeitet. Da man bei DeLonghi weiß, wie sich hohe Präzision im Kegel erzielen lässt, gibt es keinen Grund, auf Keramik und Scheiben zu setzen.
Wir dürfen jedoch nicht unter den Tisch fallen lassen, dass DeLonghi-Kaffeevollautomaten häufig in den feinsten Mahlgraden überfordert sind. Das passiert euch bei Scheiben selten bis nie.
Komplett aus der Rolle fällt deshalb der DeLonghi Maestosa – mit zwei Scheibenmahlwerken aus Edelstahl.
Diese Ausnahme von der Regel ist sinnvoll, weil die elektronisch steuerbaren Bauteile eine ganz andere Stabilität und Mechanik benötigen. Keramik könnte hier sicher nicht für Langlebigkeit garantieren.
Mein derzeitiger Premiumliebling Jura Z8 sagt zu seinem Mahlwerk nüscht – außer „Stahl“. Aber auch dieses kryptisch bezeichnete Bauteil ist sehr leise. Überhaupt habe ich schon bei älteren Modellen wie dem Jura E60 bemerkt, dass diese Marke ebenfalls zu den ruhigen Zeitgenossen gehört.
Was lernen wir nun aus diesem Überblick? Zwei entscheidende Dinge:
Eigentlich kommt es nicht auf das Material an. Sondern darauf, wie es in das Mahlwerk integriert ist
Bei einem Mahlwerk aus Edelstahl habt ihr mehr Chancen auf leise Vollautomaten als bei Keramik – was dem am häufigsten vorgetragenen Vorteil von Keramikmahlwerken natürlich widerspricht
Was muss ich bei einem Kaffeevollautomaten mit Keramikmahlwerk beachten?
Kurz zurück zur Kaffeetasse. Mit einem Edelstahlmodell könnt ihr Weitwurf spielen. Die Keramiktasse ist dann einfach kaputt. Auch wenn es bei Keramik keinen Verschleiß im Sinne von Materialabtrag gibt, ist sie doch anfällig für Schäden.
Keramik im Mahlwerk ist wie ein Diamant: sauhart, aber wenn er runterfällt, splittert er. Ein Mahlwerk fällt selten runter. Aber in so mancher Kaffeebohnentüte verstecken sich unbemerkt Steine oder ähnlich harte Fremdkörper.
Treffen diese mit Schwung auf die Mahlscheiben, kann euch ein Teil des Mahlwerks tatsächlich absplittern. Wie beim angeschlagenen Kaffeebecher kann schon der kleinste Riss dafür sorgen, dass der Vollautomat irgendwann kaputt ist. Und ist das Mahlwerk hinüber, müsst ihr euch nach einem neuen Modell umsehen.
Darum kann ich euch nur dringend raten, bei einem Keramikmahlwerk extra sorgfältig an die Bohnenauswahl zu gehen und genau hinzuschauen, wenn ihr eine neue Fuhre in den Bohnenbehälter kippt.
Und ja, die Chance, dass Fremdkörper im Kaffee sind, ist bei Supermarkttüten höher als bei anständigen Röstereien. Sorry, Lavazza-Fans!
Wollt ihr ein Keramikmahlwerk reinigen, habe ich noch eine gute Nachricht: Im Vergleich zu Edelstahl ist die hohe chemische Beständigkeit hier tatsächlich von Vorteil, da sich Kaffeeöle und Fette nicht dermaßen einfach und haftfreudig festsetzen.
Das heißt aber nicht, dass ihr Kaffeevollautomaten mit Keramikmahlwerk weniger oft reinigen müsst.
Das heißt nur, dass diese Maschinen ihre Rückstände bereitwilliger loswerden und ihr mehr Hygiene erzielen könnt als beim vergleichbaren Aufwand mit Edelstahlmahlwerken.
Geräuschfaktor Keramikmahlwerk: Welcher Kaffeevollautomat ist der beste für Zuhause
Wenn wir unsere gesammelten Erkenntnisse zusammenfassen – sind wir fast genauso schlau wie vorher. Keramikmahlwerke sind kein Garant für irgendwas. Nicht einmal für die Lautstärke. Ehrlich gesagt war mir das bisher auch noch nicht so dermaßen bewusst.
Denn auch ich kann mich in meinen Kaffeevollautomaten-Tests 2024 nicht von der Marketingerziehung freimachen.
Steht Keramikmahlwerk auf dem Karton, gehe ich davon aus, ein hochwertigeres Gerät vor mir zu haben. Manchmal bin ich sogar überrascht, wenn mir ein hochpreisiger Vollautomat mit einem Edelstahlkegelmahlwerk kommen will.
Aber dafür gibt es absolut keinen Grund. Keramikmahlwerke sind nur eine Variante. Sie haben unbestrittene Vorteile, sollen jedoch grundsätzlich Nachteile ausgleichen. Von Natur aus sind sie weder leiser noch aromaschonender. Sie können es aber auch sein.
Sind euch leise Kaffeevollautomaten wichtig, bleibt wie immer nur eins: Lest den Testbericht zu eurem Favoriten, fragt nach und kommentiert eifrig!