Interview mit Andreas Felsen von „Überlegen”: Ein neues Kapitel in der Diskussion um die Kaffeemarktplätze

Moin! Ich bin Arne. Nach einigen Jahren als Barista habe ich mich einer Mission verschrieben: mehr guten Kaffee unter die Leute zu bringen. Dafür stellen mein Team und ich eine breite Wissensbasis zum Thema Kaffee für euch bereit.

Wie wir testen | Unser Team

Das Thema online „Kaffeemarktplätze“ fasziniert mich schon seit 2019 besonders, was mich erst zu intensiven Recherchen und später zu kritischen Artikeln führte. Am Anfang plante ich, einen Test zu Kaffeemarktplätzen zu schreiben. Dabei stieß ich jedoch auch auf fragwürdige Praktiken bei Produktbewertungen

Das Thema online „Kaffeemarktplätze“ fasziniert mich schon seit 2019 besonders, was mich erst zu intensiven Recherchen und später zu kritischen Artikeln führte. Am Anfang plante ich, einen Test zu Kaffeemarktplätzen zu schreiben. Dabei stieß ich jedoch auch auf fragwürdige Praktiken bei Produktbewertungen

Aus meinem ursprünglichen Plan ist am Ende der Artikel „Kaffeemarktplätze“ entstanden. In Zusammenarbeit mit Pingo von Quijote Kaffee, Benjamin von Kaffeemacher:innen und Wolfram von Backyard Coffee haben wir gemeinsam das Thema Kaffeemarktplätze 2022 sehr kritisch beleuchtet.

Dieser besondere Beitrag hat nicht nur auf coffeeness.de viel Resonanz und Diskussionen hervorgerufen. Heute – ein Jahr später sehen wir viele unserer Thesen aus dem Artikel bestätigt.

Doch stellt sich zwangsläufig die Frage: Kann es auch anders, besser und gerechter zugehen? Ist eine Win-Win-Win-Situation für Kunden, Röster und Marktplatz möglich?

Kaffeemarktplatz „Überlegen“: Eine Kooperative zeigt, wie es gehen kann

Auf diese Frage wollten auch 12 Kaffeeröstereien eine Antwort haben und nehmen sich als Kooperative der Vision eines fairen, transparenten und nachhaltigem Kaffeemarktplatz an. Darunter sind alle Kollegen, mit denen wir den letzten Artikel verfasst haben, aber auch einige meiner liebsten Röstereien, wie z.B. die Flying Roasters. 

Das aktuelle Kollektiv: Eugen, Max, Pingo und Nikola
Das aktuelle Kollektiv: Eugen, Max, Pingo und Nikola

Zu diesem neuen Marktplatz namens „Überlegen“ habe ich Andreas Felsen aka Pingo einige Fragen gestellt. Diese sollen insbesondere die kritischen Bereiche und Gefahren beleuchten, die wir selbst bei anderen Marktplätzen bemängelt hatten. Dinge zu kritisieren ist immer einfach, es selbst besser zu machen, ist die Kunst.

Wer rumstinkt, muss auch die Windeln richtig voll haben.

Kleiner, aber heiterer Hinweis vorweg: Für dieses Interview hat Pingo eine unkonventionelle Bezahlung gewählt – ein kühles Bier, das auf mich wartet, sobald ich meinen nächsten Abstecher nach Hamburg mache. Und zwischen uns, ich kenne das Spiel – aus einem Bier werden erfahrungsgemäß drei bis fünf. Nun, könnte diese Vergütung meine Fragetechnik beeinflussen und mich etwas weniger kritisch machen? Ich überlasse es euch, das zu beurteilen.

Andreas Felsen, alias „Pingo”, und Arne in einer Kaffeerösterei
Andreas Felsen, alias „Pingo”, und Arne in einer Kaffeerösterei

Wer bist du eigentlich und was machst du im Bereich Kaffee? 

In der Branche kennen mich die meisten nur unter meinem Spitznamen „Pingo“. Ich habe seit 1996 beruflich mit Kaffee zu tun. Zunächst als Kaffeeimporteur und -Röster als Mitglied des von mir mitgegründeten Kollektives „Café Libertad“. Im Jahr 2010 gründete ich zusammen mit Stefanie Hesse unser aktuelles Rösterei- und Importkollektiv „Quijote Kaffee“. In der gesamten Zeit arbeitete ich auch als Berater und habe unter anderem über 200 Röstereien in ihrer Gründung begleitet.

Für alle, die dich nicht kennen: Kannst du uns ein bisschen über deinen Hintergrund und deine Motivation in der Kaffeebranche erzählen?  

Ich engagiere mich schon mein ganzes Arbeitsleben in der basisdemokratischen Gewerkschaft FAU. Meinen ersten Kontakt zu Kaffeegenossenschaften hatte ich 1995 im Rahmen meines Aufenthaltes als gewerkschaftlicher Menschenrechtsbeobachter in Chiapas / Mexico. 

Dort wurde ich gefragt, ob ich Lust hätte, den Kaffee meiner dortigen Gastgeber nach Deutschland zu importieren. Ich beschäftigte mich daraufhin mit der Situation im Kaffeehandel. Ich fand bis auf wenige Ausnahmen im „Fairen Handel“ nur Ausbeutung, betrügerische Handelspraktiken, schreckliche Kaffeequalitäten, völlige Intransparenz in allen Bereichen, Ungerechtigkeiten aller Art und Umweltzerstörung. 

Ich dachte mir: Das ist schlimm, aber völlig unnötig. Es erschien mir als ein Leichtes, alles ganz anders zu machen als ich es beobachtet hatte. Ich wollte alle meine persönlichen Ideale konsequent in der Praxis umsetzen. Kaffeehandel bot sich förmlich dafür an. 

Nämlich partnerschaftlich und kollektiv, gerecht, transparent, ökologisch nachhaltig, in langfristiger loyaler Zusammenarbeit, ehrlich und lecker. Zunächst wurde ich belächelt, hatte aber sofort großen Erfolg. Es ließ sich alles leicht umsetzen. Ich musste nur auf absurd hohe Profite verzichten. 

Mit der Gründung von Quijote verfolgten wir dann konsequent das Ziel, als Vorbild in der Branche wahrgenommen zu werden. Unser Wunsch war und ist es, durch eine vorgelebte Utopie andere Röstereien zu inspirieren. Das ist uns gelungen.

Inzwischen ist Quijote die Rösterei, die gleichzeitig die höchsten Preise an die Produzierenden zahlt, die den höchsten Durchschnittslohn der eigenen Mitarbeitenden in der Branche hat und die ein einmalig gutes Preis-Leistungs-Verhältnis für die Konsument*innen hat. 

Erfolgreiches Vorbild für unsere Branche zu sein und mich mit den besten und engagiertesten Leuten zu vernetzen, ist meine Hauptmotivation. Und der Fokus unserer Arbeit liegt immer auf der Situation der Produzierenden.

Brasilien Kaffeefarm 2022 Ernte kaffeekirschen

Was genau ist der Plan mit deinem Kaffeemarktplatz? Was möchtest du erreichen und was macht deinen Ansatz anders als bei anderen Plattformen?  

Wie bei allen Projekten geht es mir auch mit dem Marktplatz darum zu zeigen, dass es viel besser, gerechter und kooperativer geht als wir es von woanders kennen. Auch hier möchten wir durch unser gelebtes Beispiel zeigen, dass wir mit Partnerschaftlichkeit, Ehrlichkeit und Transparenz weiterkommen. 

Alle angebotenen Kaffees halten klar definierte Kriterien ein, die wir gemeinsam mit den zum Start beteiligten zwölf Röstereien erarbeitet und definiert haben. 

„ÜBERLEGEN“ ist wie alle von mir gegründeten Firmen ein Kollektiv, sie gehört komplett den Mitarbeitenden, keine Person inklusive mir, hat mehr Rechte oder höhere Löhne als die anderen. 

Alle beteiligten Röstereien haben bei „ÜBERLEGEN“ ein direktes Mitsprache-Recht in den sie betreffenden Bereichen. Wir stehen in ständigen Austausch und sind im Gegensatz zu den Plattformen der Investoren und Kaffeekonzerne nicht nur behauptete, sondern auch echte Partner.

Wie gehst du den Interessenkonflikt an, eigene Produkte oder die mit den höchsten Margen zu fördern, statt den besten Kaffee in den Vordergrund zu stellen?  

Wir nutzen eine einfache technische Lösung. Wie die Produkte in unserem Webshop angezeigt werden, wird durch einen Zufallsgenerator bestimmt. Egal, ob es Bestseller sind, Produkte mit höherer Marge oder die Kaffees meiner eigenen Rösterei. 

Der „beste“ Kaffee wird so allerdings auch nicht im Vordergrund stehen. Wobei wir die Kaffees aber auch so ausgewählt haben, dass sie in unseren Augen alle die besten sind. Alle Kaffees halten klar definierte Kriterien ein. Ich habe keine Lust und kein Interesse, Kaffees zu verkaufen, hinter denen ich nicht genauso stehen kann wie hinter den Kaffees von Quijote.

Kaffeekirschen in rot und gruen

Das ist dann zugleich auch der Vorteil, den die Kund*innen im Webshop von ÜBERLEGEN haben. Sie finden eine kuratierte Auswahl von Kaffees, die alle den genannten Kriterien entsprechen. Es ist ja oft gar nicht so einfach, in der großen Auswahl zu erkennen, in welcher Packung wirklich ehrlicher Kaffee steckt und wo es sich eher um verkaufsfördernde Marketingversprechen handelt.

Wir schlagen also zwei Fliegen mit einer Klappe: Einerseits schaffen wir für die Röstereien und mit den Röstereien einen fairen Online-Marktplatz und andererseits ist es ein Service für Kaffeeliebhaber:innen, die Wert auf Qualität und Fairness legen. 

Wie sorgst du dafür, dass Bewertungen und Algorithmen, die Produkte vorstellen, transparent und fair sind?  

Dafür benötige ich noch technische Hilfe, um zu gewährleisten, wie dies unseren Kund*innen gegenüber realisiert werden kann. Wir kennen uns damit zu wenig aus. Vielleicht kennt hier ja jemand jemanden, der uns Hilfestellung geben möchte? Wir tauschen gerne Support gegen Kaffee.

Wir versprechen jedenfalls diesbezüglich hundertprozentige Ehrlichkeit. Die beteiligten Röstereien werden alles einsehen können. Dies ist Teil unserer Zusammenarbeit.

Bei vielen Marktplätzen gehen kleinere Anbieter unter. Wie unterstützt du kleine Röstereien dabei, auf deinem Marktplatz sichtbar zu bleiben? 

Auch hier werden alle Kaffees und alle Röstereien gleich behandelt. Der Zufallsgenerator erzeugt die Reihenfolge, in der die Kaffees dargestellt werden.

Wir werden wahrscheinlich alle 14 Tage ein Highlight auf einen speziellen Kaffee richten und diesen genauer vorstellen. Dafür fragen wir die Röstereien immer alle hintereinander, ob sie das möchten. Auch hier haben alle das gleiche Recht und die gleiche Sichtbarkeit.

Die einzigen Gründe, dass Kaffees bei uns „untergehen“ könnten, wären, dass sie einfach nicht gekauft werden oder dass sie unsere gemeinsamen Kriterien nicht mehr erfüllen.

Wie planst du, die Werte von direktem Handel, Transparenz und Nachhaltigkeit auf deinem Marktplatz zu fördern? 

Wir haben gemeinsam mit den beteiligten Röstereien einen klaren und harten Kriterienkatalog erstellt, den alle von uns angebotenen Kaffees einhalten müssen. Wir werden niemals Kaffees anbieten, die diese Werte nicht darstellen können.

Unsere Kriterien betreffen Verpflichtungen zu:

  • Direkten Beziehungen von den Röstereien zu den Produzierenden

  • Langfristigkeit dieser Beziehungen

  • Bedürfnisorientierten Preise für die genutzten Rohkaffees an die Produzierenden statt eines Handels auf Basis des Weltmarktpreises

  • Transparenz der Kaufverträge für die Kaffees gemäß „The Pledge“ (s. Video-Interview)

  • Umwelt- & Naturschutz

  • Kooperation statt Konkurrenz innerhalb der Branche

Arne interviewt Andreas (Pingo) & Katharina (Katze) von Quijote Kaffee über ihre Kaffeeinitiative „The Pledge”:

Bekommen Röstereien Zugang zu den Daten ihrer Kunden? Wenn ja, in welchem Umfang? 

Wir werden im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten (um diese besser zu kennen, benötigen wir auch eure Hilfe) den Röstereien mitteilen, wer ihre Kaffees gekauft hat. Nur so können die Röstereien sehen, ob die Zusammenarbeit mit uns für sie von Vorteil ist oder ob sie ihre eigenen Kund*innen an uns verlieren.

Was macht deinen Marktplatz besonders im Vergleich zu den großen Plattformen, die bereits existieren?

Die einzige Gemeinsamkeit ist, dass wir online Kaffee von verschiedenen Röstereien anbieten. Die Unterschiede sind mannigfaltig, wir sind echte Partner der Röstereien und nicht ihr Amazon oder Lieferando. Konkrete Unterschiede sind: 

  1. Wir bieten nicht auf die Namen der Röstereien auf Suchmaschinen

  2. Wir verlinken die Röstereien auf Überlegen

  3. Wir greifen ihre Kund*innendaten nicht für unsere eigenen Interessen ab

  4. Es gibt keine gezielte Verdrängung der URLs von Röstereien durch spezifische SEO

  5. Auf der Plattform gibt es ausschließlich Kaffees, die den Kriterien entsprechen, die gemeinsam mit allen beteiligten Röstereien definiert wurden

  6. Es gibt keine bessere Platzierung von Produkten aus unserer eigenen Produktion oder mit besseren Margen

  7. Es gibt keinen Image-Transfer von authentischen Röstereien hin zu Kaffeekonzernen

  8. Es gibt keinen Know-how-Transfer von Spezialitätenröstereien hin zu Kaffeekonzernen

  9. Es gibt keinen niedrigeren Versandkosten als von den Röstereien selbst

  10. Wir arbeiten voll transparent

  11. Wir bieten mit 17 bis 22,5 % Marge für uns finanziell bessere Konditionen

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Wie können Röstereien sicher sein, dass sie durch eine Partnerschaft mit deinem Marktplatz nicht in eine Abhängigkeit geraten? 

Wir erhoffen uns, durch engen Austausch mit den Röstereien ein echt partnerschaftliches Verhältnis. Dazu gehört eindeutig auch, Risiken gemeinsam zu thematisieren. 

Wenn zum Beispiel eine Rösterei sich dazu entscheiden würden, den kompletten Versand über uns abzuwickeln, wäre sie auch wirklich vom Funktionieren der Partnerschaft abhängig. Wir müssen also reflektieren und aufeinander aufpassen.

Wo siehst du deinen Marktplatz in 5 Jahren? Und wie planst du, den sich ändernden Bedürfnissen von Röstereien und Kaffeeliebhabern gerecht zu werden?

Ich wünsche mir eine kontinuierliche Weiterentwicklung unseres Konzeptes. Wir erhoffen uns zum Beispiel, eine wahrnehmbare kritische Stimme in unserer Branche zu werden. Dazu haben wir vor, auf einem eigenen Blog regelmäßig Artikel von renommierten Aktivist*innen des Fairen Handels und des solidarischen Handels neben eigenen Texten zu publizieren.

Wir überlegen auch, eine Plattform für die direkt importierten Rohkaffees der beteiligten Röstereien zu etablieren. Somit könnte ein Marktplatz für Röstereien entstehen, die auf der Suche nach ehrlich und nachhaltig gehandelten Kaffees sind.

Unser Ziel ist es, als der glaubwürdigste und ehrlichste Marktplatz wahrgenommen zu werden und somit auch wieder ein Vorbild für die Branche zu werden.

„Überlegen“ in Aktion: Von Kritik zum frischen Kapitel für fairen Kaffeemarktplatz

Die Idee hinter „Überlegen“ ist es, die Kaffeemarktplatz-Dynamik zu verändern und zu zeigen, dass es fair, transparent und nachhaltig geht. Im Interview mit Andreas Felsen habe ich einen guten Blick hinter die Kulissen der neuen Kooperative bekommen.

Der Fokus auf Beziehungen und die Partnerschaft mit anderen Röstereien machen „Überlegen“ aus. 12 Röstereien handeln nach ihren gemeinsam erstellten Kriterien und Prinzipien für das beste faire Kaffee-Angebot für euch. Unabhängig davon, gefällt mir das Zufallsgenerator-Feature richtig gut. 

Wie geht es weiter? Pingos Vision geht über den reinen Kaffeemarktplatz hinaus. Er plant einen eigenen Blog für Beiträge von Fair-Trade-Aktivisten und eine Plattform für direkt importierten Rohkaffee. Sein Ziel ist, mit überlegen.online als die glaubwürdigste und ehrlichste Plattform in der Kaffeebranche wahrgenommen zu werden. 

Wie denkst du über die Idee, einen fairen Kaffee-Marktplatz einfach selbst zu machen? Wie wichtig sind dir Transparenz und Nachhaltigkeit beim Kaffeekauf? Glaubst du, dass der „Überlegen“ Kaffee-Marktplatz einen positiven Einfluss auf die Kaffeebranche ausüben kann? Ich bin gespannt auf deine Meinung!

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