Jeder Barista und jeder Mitarbeiter einer Bäckerei mit Kaffeevollautomat hinter der Theke stand schon einmal vor der ultimativen Service-Challenge: nicht zu lachen, wenn vor dem Tresen ein „Connaisseur“ der italienischen Kaffeekultur steht und mit stolzgeschwellter Brust „einen Espressi, bitte“ bestellt. Und dabei überlegen guckt, als hätte er gerade Dantes Göttliche Komödie auf Alt-Italienisch rezitiert.
Jeder Barista und jeder Mitarbeiter einer Bäckerei mit Kaffeevollautomat hinter der Theke stand schon einmal vor der ultimativen Service-Challenge: nicht zu lachen, wenn vor dem Tresen ein „Connaisseur“ der italienischen Kaffeekultur steht und mit stolzgeschwellter Brust „einen Espressi, bitte“ bestellt. Und dabei überlegen guckt, als hätte er gerade Dantes Göttliche Komödie auf Alt-Italienisch rezitiert.
Dass ein Espresso häufig zum Expresso verhohnepiepelt wird, ist praktisch Standard. Die Vermutung liegt beim schnellen Mini-Schluck mit gerade einmal 25 Sekunden Durchlaufzeit auch nahe. So nahe, dass selbst der Wikipedia-Artikel zu unser aller Lieblingsgetränk dieser Tatsache einen eigenen Abschnitt widmet.
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Mir geht es aber um etwas anderes: In meinen Texten verwende ich den Begriff Espresso in der Ein- und Mehrzahl, wie es mir gerade passt.
Manchmal kippe ich mehrere „Espressos“ in meinen Cappuccino. Wenn mir danach ist, kommen auch mal ein paar „Espressi“ in meinen Flat White. Für ordentlich Koffein-Wumms trinke ich auch schonmal drei „Espresso“.
Und soll ich euch mal was sagen? Der Geschmack ist immer gleich; egal, wie wir es nennen. Da ich aber nichts Anständiges gelernt habe, sondern das Internet vollschreibe, gibt es natürlich immer den ein oder anderen Kommentar, ich möge mir doch bitte mal ein Deutsch-Italienisch-Wörterbuch zulegen. Und als Barista bitteschön die korrekten Termini (oder vielleicht Terminusse?) verwenden.
Doch was ist denn nun der ultimative, endgültige und in Stein gemeißelte Plural von Espresso? Warum heißt das Ding eigentlich, wie es heißt? Und noch viel wichtiger: Warum ist es uns Deutschen so wichtig, beim Bestellen einen auf Graf Koks zu machen, um dann Schlagsahne und Sirup in unseren „Late Muchacho“ (O-Ton ein besonders denkwürdiger Gast) zu kippen?
Als investigativer Blogger mit dem Hang zum Mittelfinger gegen alles, was nach elitärem Bullshit riecht, habe ich mich für euch auf die Suche begeben und den ultimativen Sprachführer über den Espresso geschrieben. Klugscheißen kann ich nämlich genauso gut.
Und wenn ihr den gelesen habt, geht ihr in die Kaffeebar eures Vertrauens, bestellt von mir aus drei „Expressi“ und wartet auf die Zuckungen im Gesicht des Barista (oder Baristas?). Und kippt dann alle drei Schlucke mit Augenkontakt und ohne Blinzeln hinunter. Wer zuerst lacht, hat verloren.
Was bedeutet Espresso? Die Deutschen und ihre Handtücher
Ist euch schonmal aufgefallen, dass wir in der Dönerbude oder beim Inder kein Problem damit haben, die fremdsprachigen Bezeichnungen für die Speisen auszusprechen, wie es uns gerade passt? Und dass außerdem kein Mitarbeiter dämlich guckt, wenn wir Bööööörek oder „das komische Ballonbrot da“ bestellen?
Sobald wir über die Schwelle einer Kaffeebar treten, geben wir diese Laissez Faire-Attitüde an der Eingangstür ab. Vielleicht, weil uns der eindrucksvolle Bart des Baristas einschüchtert. Oder weil es zum guten Ton mancher Third Wave-Kaffeebars gehört, dem Kunden das Gefühl zu geben, er sei Bittsteller und kein Gast.
Ich glaube aber eher, dass das nichts mit den Etablissements zu tun hat, sondern mit unserer Mentalität. Und diese wird beim Thema Kaffee vom sogenannten Handtuchfaktor bestimmt. Diesen Begriff habe ich mir gerade ausgedacht und ihr dürft mich gerne zitieren:
Ungefähr zeitgleich mit der Invasion der italienischen Kaffeekultur in Deutschland wurden Pauschalreisen nach Italien das Ding schlechthin. Rumasseln am Pool der Hotelburg an der Riviera ist ja auch viel besser fürs Image im Bekanntenkreis als Zelten an der Ostsee.
Und dabei kam es zu einer verqueren Form des Kulturaustauschs: Wir haben den Italienern gezeigt, wie man sportlich morgens um sieben eine Liege am Pool mit dem Handtuch reserviert. Und die Italiener haben uns dafür ungefähr zwei Brocken Italienisch beigebracht – glaubten wir zumindest.
Der durchschnittliche Italiener käme nämlich nie auf die Idee, in der Kaffeebar seines Vertrauens einen Espresso zu bestellen. Er ordert un caffè. Denn der vollständige Begriff für den Kaffee aus der Siebträgermaschine lautet caffè espresso.
Das Adjektiv (!) espresso hat dabei nichts mit dem technischen Vorgang des Pressens oder Ausdrückens zu tun, was wiederum bei dieser Zubereitung naheliegen würde. Die Erklärung ist viel lyrischer:
„Espresso“ bezieht sich auf das Verb esprimere, das sich wiederum auf das Ausdrücken von Gefühlen, Meinungen und Gedanken bezieht. Und damit verweist der caffè espresso auf ein Getränk, das erst auf ausdrücklichen Wunsch des Gastes zubereitet wird. Schließlich ist es sinnlos, den Shot auf Vorrat zu kochen.
Wenn der durchschnittliche Klischee-Touri caffè hört, denkt er allerdings an Omis Filter-Plörre. Aber das will er doch gar nicht! Er ist im Urlaub, um Land und Leute kennenzulernen und will die heimische Küche entdecken! Und das zackizacki und am besten direkt im Hotel!
Also mussten sich die Kellner in den Pauschal-Hochburgen was einfallen lassen, um sich lange Erklärungen zu sparen, die Sprachbarriere zu überwinden und Reklamationen zu vermeiden. Also haben sie sich erbarmt, und das Adjektiv espresso zum Hauptwort für die Deppen aus Teutonia gemacht.
Diese Deppen fuhren nicht nur in Scharen nach Italien, sie kamen auch in Scharen wieder aus dem Urlaub zurück und mussten das Erlernte gleich mal beim Italiener um die Ecke oder vor der Bekanntschaft präsentieren. Und das wiederum ist die sprachliche Variante der Handtuchreservierung: Man, was sind wir weltmännisch!
Mit deutscher Gründlichkeit haben wir dann auch gleich noch um das Adjektiv, das nur aus Gründen der Simplifizierung zum Substantiv wurde, einen vollständigen sprachwissenschaftlichen Kosmos aus Bullshit geschaffen:
Italienisch beruht auf Latein – Im Lateinischen wird aus so ziemlich allen Singular-Endungen im Nominativ eine i-Endung im Plural – Ergo: ein Espresso, mehrere Espressi. Goethe und Cicero wären stolz auf uns.
Wer sich beim nächsten Treffen mit den Freunden im Lieblingsitaliener (den ja dann plötzlich auch jeder hatte) nicht als Ostsee-Urlauber und Kleingeist outen wollte, musste also ganz schnell lernen, beim Kellner „due Espressi“ zu bestellen.
Und weil die Italiener sowieso schon leidgeprüft sind, was wir ihrer Kaffeekultur angetan haben, haben sie auch das akzeptiert. Und lästern über uns nur hinter unserem Rücken, wie es sich für ordentliche Servicemitarbeiter gehört.
Der korrekte Plural von Espresso? Wayne!
Das alles wäre nicht weiter tragisch, wenn wir nicht die fixe Idee hätten, dass alles, was wir tun, immer einen Hauch von Leitkultur mit sich trägt. Im Land der Dichter und Denker ist selbst der Einkaufszettel zwangsläufig Lyrik. Was wir sagen, stimmt. Auch wenn unser eigentliches Talent häufig im Nachplappern und Nachäffen liegt.
Und so konnte es passieren, dass es keinem dämmerte, dass ein ADJEKTIV in dem Sinne keinen Plural hat. Und dass es folglich vollkommen wurscht ist, ob wir nun eine Runde Espresso, Espressos oder Espressi bestellen.
Überhaupt: Wayne interessiert’s, was der Plural eines italienischen Wortes ist, das noch nicht einmal das bezeichnet, was Italiener darunter verstehen? Zum Horst machen wir uns vor den Italienern sowieso schon, weil wir allen Ernstes glauben, dass Omis Filterplörre von Kaffeekultur zeugt. Nichts gegen Omi, wohlgemerkt.
Aber eigentlich ist auch meine Tirade dazu wieder nur ein Zeichen, dass wir Deutschen echt nicht über uns selber lachen können. Und das, obwohl wir mehr als genug Gelegenheit dazu hätten. Nicht wahr, Jens Spahn?
Am Ende des Tages kommt es doch nur darauf an, dass wir dem Getränk mehr Achtung zollen, es anständig zubereiten und unseren Genuss-Horizont erweitern. Ohne jeden Scheiß mit unserem (geistigen) Handtuch für uns reservieren zu müssen.
Danke für eure Aufmerksamkeit. Ende der Durchsage. Oder doch nicht? Welche schönen Sprachkonstrukte sind den Baristas oder Kellnern unter euch schon untergekommen? Wie steht ihr zum Thema „korrekte Sprache in der Kaffeewelt?“ Habe ich noch was vergessen? Hinterlasst mir gerne einen Kommentar!