Pharisäer – Prost mit scharfem S!

Wer einen Beweis dafür sucht, dass die Deutschen bei ihren regionalen Spezialitäten und Etikettenschwindel nun wirklich keinen Spaß verstehen, möge sich beim Amtsgericht Flensburg das Urteil im Fall mit der Aktennummer 63 C 84/81 zu Gemüte führen.

Pharisäer Rezept

Wer einen Beweis dafür sucht, dass die Deutschen bei ihren regionalen Spezialitäten und Etikettenschwindel nun wirklich keinen Spaß verstehen, möge sich beim Amtsgericht Flensburg das Urteil im Fall mit der Aktennummer 63 C 84/81 zu Gemüte führen.

Darin heißt es nämlich zu einem angeblichen Pharisäer, für den ein Gast nicht bezahlen wollte:

„Es handelt sich hier um ein Kaffeegetränk mit geringem alkoholischem Beigeschmack, keinesfalls aber um ein köstliches, hochprozentig alkoholhaltiges Getränk.“

Richtig klasse wird es in der Urteilsschrift, als der Richter mit Wissen glänzt: „Das Originalrezept […] beschreibe ein Getränk, das ‚hochprozentig alkoholhaltig’ ist und deswegen deutlich den Rumzusatz schmecken lässt. Denn das Getränk soll aufgrund des ‚herzhaften’ und ‚ordentlichen Schusses Rum’ als ‚köstliches Getränk Leib und Seele wärmen’.“

Nachzulesen ist das alles in diesem launigen Blogartikel, wir kümmern uns lieber darum, was ein Pharisäer überhaupt ist, woher er kommt und warum er bitteschön dafür sorgt, dass sich Gast und Gastronom plötzlich im Gerichtssaal wiedertreffen.

Die Legende zum Pharisäer: Eine Story von findigen Friesen

Überall dort, wo man nicht redet, sondern schnackt, wo „Schietwetter“ eine Umschreibung für einen typischen Sommertag ist und jedes S wie ein Peitschenknall durch die Zähne zischelt, ist der Pharisäer zuhause. Sprich: im hohen Norden. Angeblich wurde er auf der Insel Nordstrand (zu sprechen mit scharfem ‚S‘, natürlich) geboren.

Dort soll ein Pastor entsetzt darüber gewesen sein, dass die Einheimischen trinken als stünde die Sintflut bevor. In bester Pastor-Manier soll er dann erstens von der Kanzel gewettert und zweitens auch noch ein scharfes Auge auf seine Schäfchen behalten haben.

Da sich Friesen aber ganz sicher nicht verhohnepiepeln und schon gar nicht am Trinken hindern lassen, haben sie sich unter den Augen des Pastors heimlich besoffen:

Der Kaffee bei einer Geburtstagsfeier in der blickdichten Tasse wurde mit einem Löffelchen Zucker und einem ordentlichen Schluck Rum gespickt. Und damit das keiner merkte, kam noch eine dicke Sahnehaube obendrauf. Alle waren beschickert, und der Pastor vollkommen ahnungslos.

Dumm nur, dass er irgendwann auch so eine Tasse Kaffee in die Hand bekam und angesichts so viel Schwindels ausgerufen haben soll „Ihr Pharisäer!“

Mal abgesehen von der Tatsache, dass diese neutestamentarisch inspirierte „Ihr Arschlöcher“-Variante antisemitisch ist, hatte der Kaffee fortan seinen Namen weg. Genau könnt ihr das noch einmal bei Wikipedia nachlesen.

Was im Pharisäer drin sein darf. Was drin sein muss. Und wo Friesen die Krise kriegen

Zurück zu unserem von Amts wegen betrunkenen Richter und dem mittlerweile legendären Pharisäer-Streit. Hier ging es vor allem darum, wie viel Rum drin sein muss, damit er überhaupt seinen Namen verdient.

Und das Urteil lautet: Alles unter 4 cl Rum ist Schwindel!

Alles darüber ist aber absolut in Ordnung, gerade an kalten Tagen. Außerdem muss es brauner Rum sein und weil die Friesen keine Idioten sind, kippen sie nicht etwa den guten, fassgereiften 15-Jährigen in die Tasse, sondern einen möglichst günstigen Jamaica-Rum bzw. Verschnitt.

Apropos Tassen: Zwar gibt es hierzu keinen Präzedenzfall, aber ein ordentlicher Friese lässt nichts anders gelten als eine übliche Kaffeetasse. Die hohe, schlanke Henkeltasse aus Porzellan, auf der im Idealfall zum Beispiel das blaue Jäger-Eisenberg-Blumendekor prangt, ist eher so ein Touristending.

Wichtige Basis ist außerdem ein starker Kaffee. Ganz nach Hausfrauenmanier bietet sich hier Kaffee aus dem Handfilter an. Hauptsache, ihr lasst eure blumigen Röstungen links liegen, greift euch Kaffeebohnen mit ordentlich Schokoladen-Krawall und haut auf die sonst üblichen rund 12 Gramm Kaffeemehl pro Tasse bei der Filterbereitung ruhig noch einen kleinen Schwung drauf.

Bio Kaffee Handfilter

Dieser Kaffee kommt frisch gebrüht in die Pharisäer-Tasse. Vorher löst ihr ein Stück Würfelzucker im Rum auf. Ihr könnt auch weniger Zucker nehmen, aber dann macht das Ergebnis nur halb so viel Spaß.

Falls ihr ganz abenteuerlustig unterwegs seid, bietet sich auch Mokka als Kaffeegrundlage an. Nur dann ist die Mischung aus Alkohol, Koffein und Zucker wirklich eine echte Granate und Schlafen fällt aus.

Nun fehlt in jedem Fall nur noch die Sahnehaube. Die kommt natürlich nicht aus der Sprühflasche, höchstens aus dem Gastrosyphon und enthält keinen Zucker oder irgendwelche Aromen.

Also noch einmal die Zutaten im Schnelldurchlauf:

  • Starker, frisch gebrühter Kaffee (am besten aus dem Handfilter)
  • Mindestens (!!!!!!!) 4 cl Jamaika-Rum in Braun
  • Pro Tasse ein Würfel Zucker
  • Frisch geschlagene, ungesüßte Sahne (von Hand oder aus dem Syphon)

Wer bei dieser Anleitung sofort an Irish Coffee denkt, liegt natürlich richtig. Denn alle Völkchen, die ganz nah an der See und fern von warmer Sonne leben, haben sich irgendwann eine Möglichkeit überlegt, die kalten Tage und Nächte mit der richtigen Mischung aus Koffein und Alkohol zu überstehen.

Allerdings ist der Pharisäer nicht ganz so Attitüden-behaftet wie der Irish Coffee. Das merkt man schon an der „Qualität“ der Spirituose. Dass der Kaffee gut sein muss, steht jedoch außer Frage. Außerdem gibt es ein paar Tipps, die ihr beherzigen solltet:

  • Tasse und Rum sollten leicht angewärmt sein. Falls Ihr eine Espressomaschine habt, könnt ihr den Rum in die Tasse geben und diesen kurz mit der Dampfdüse anwärmen. Dann wird auch die Tasse gleich warm. Aber bitte nur kurz, der wertvolle Alkohol soll ja nicht verschütt gehen. Und sagt bloß keinem der Friesen aus meinem Bekanntenkreis, dass ich das gesagt habe!
  • Löffel, Strohhalm und alles andere sind tabu! Ein Pharisäer wird geschlürft und ist damit grundsätzlich einem anständigen Latte Macchiato näher als man denkt!

Cold Brew Pharisäer?

Vielleicht trete ich ja eine neue Trendwelle los, wenn ich euch erkläre, dass es durchaus auch möglich ist, einen Cold Brew Pharisäer zu machen. Auch wenn mich die schon erwähnten Friesen dafür vermutlich lynchen. Wie Cold Brew grundsätzlich funktioniert, erfahrt ihr im Übersichtsartikel.

Cold Brew und Latte

Analog zum Irish Cold Brew Coffee setzen wir beim Cold Brew Pharisäer das Kaffeepulver mit Rum statt Wasser an. Allerdings würde ich dann doch ein paar Mark fuffzig mehr investieren und einen etwas gereifteren, anständigeren Rum kaufen.

Denn der Jamaika-Mist ist im Grunde wirklich nur dann genießbar, wenn ihr ihn mit reichlich anderen Aromen kombiniert und heiß unter vielen Schichten versteckt serviert. Die Friesen haben ihn ursprünglich nicht aus Geschmacksgründen, sondern aus schierer Armut in ihren Kaffee gekippt. Hauptsache, es knallt.

Beim Cold Brew-Experiment geht es aber um wesentlich feinere Nuancen. Und kalter Kaffee verträgt sich ausnehmend gut mit Rum, wie ich auch noch einmal im Text zum Sommerthema Eiskaffee festgehalten habe.

Ob es zur Abrundung des Drinks dann wirklich Sahne sein muss, lassen wir erst einmal dahingestellt. Milch kommt im kalten Zusammenspiel einfach besser zum Tragen, wie ich finde. Ihr könnt sie aber auch ganz weglassen. Auch die Frage, ob Zucker reinkommen sollte, könnt ihr nur selbst klären. Ein Hauch kann sicher nicht schaden, Zuckersirup (ganz einfach selbstgemacht!) passt ebenso.

Für Zuckersirup müsst ihr nur zwei Teile Wasser und drei Teile Zucker zusammen erhitzen, bis die Lösung glasklar ist. Kochen darf es nicht und sobald der Sirup abkühlt, wird er noch ein bisschen fester. Das ist alles!

Pharisäer: Mal alle Fünfe gerade sein lassen!

Als verantwortungsvoller Kaffeeblogger rate ich euch natürlich dringend dazu, den Pharisäer nur ab und zu und unter Aufsicht erfahrener Friesen zu genießen. Spaß beseite: Elegant ist das „versteckte Besäufnis“ unter einer Sahnehaube zwar nicht, aber auch bei Coffeeness lassen wir gerne mal alle Fünfe gerade sein und gönnen uns einen mächtigen Schluck abseits jeglicher Nerd-Attitüde.

Jetzt also: Prost mit scharfem S und hinterlasst uns gerne einen Kommentar!

  • Quelle Artikelbild (angepasst): pixabay.com:monika1607

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