Stiftung Warentest untersucht Kaffeebohnen und Espresso – eine Abrechnung

Moin! Ich bin Arne. Nach einigen Jahren als Barista habe ich mich einer Mission verschrieben: mehr guten Kaffee unter die Leute zu bringen. Dafür stellen mein Team und ich eine breite Wissensbasis zum Thema Kaffee für euch bereit.

Wie wir testen | Unser Team

Wir schreiben das Jahr 2021. Die Welt ist krank, steht in Flammen und braucht dringend Lösungen, um noch ein oder zwei Jahrzehnte zu überleben. Nachhaltigkeit ist längst mehr als ein gutes Stichwort fürs Greenwashing – sie ist eine zwingende Aufgabe geworden. 

Wir schreiben das Jahr 2021. Die Welt ist krank, steht in Flammen und braucht dringend Lösungen, um noch ein oder zwei Jahrzehnte zu überleben. Nachhaltigkeit ist längst mehr als ein gutes Stichwort fürs Greenwashing – sie ist eine zwingende Aufgabe geworden. 

Das gilt für alle Bereiche des Lebens – in unserem Fall aber insbesondere für die ressourcenintensive Wertschöpfungskette von Kaffeebohnen und Espresso.

Dabei geht es nicht nur darum, was der Anbau, die Ernte und die Verarbeitung der Bohnen für den Wasser-, Energie- und CO2-Haushalt bedeuten. Es geht auch darum, ob und wie die Menschen in dieser Produktionskette von ihrer aufwendigen Arbeit leben können.

Damit erzähle ich niemandem etwas Neues, der sich auch nur ein bisschen mit Kaffee auskennt. Außer offenbar der Stiftung Warentest.

Ich habe (fast) nichts dagegen, dass uns die Stiftung in ihrem Kaffeevollautomaten Test 2021 für dumm verkaufen und Tchibo-Werbung unterjubeln wollte. 

Ich kann sogar verzeihen, dass die „unabhängige“ Prüfinstanz im Jahr 2016 für den Espresso Test nur mit den größten Playern der Industrie ins Bett gestiegen ist.

Doch ich kann es absolut nicht verzeihen, dass sich die Stiftung auch noch im Jahr 2021 erdreistet, in ihrem aktuellen Kaffeebohnen Test 1/2022 vorrangig auf Supermarktkaffee zu setzen, der meilenweit von jeder Nachhaltigkeit entfernt ist.

Ich kann es genauso wenig verzeihen, dass die Stiftung nicht einmal ansatzweise versucht, den Wandel im Kaffeemarkt mit ihrer publizistischen Macht zu unterstützen. 

Doch am allerwenigsten kann ich verzeihen, dass die Stiftung offensichtlich weiß, dass da etwas bei ihnen mächtig schiefläuft – und dennoch die „Schuld“ und die Verantwortung ausschließlich auf die Kunden abwälzt.

Dass die Stiftung erneut absolute Ahnungslosigkeit zum Thema Kaffee an sich beweist, ist schon Standard und daher fast niedlich. Dennoch hatte ich beim Lesen der aktuellen Ergebnisse ein ums andere Mal die Tischkante im Mund.

Falls ihr es noch nicht gemerkt haben solltet: Das hier wird ein Rant. Ein schlimmer.

Denn es wird Zeit, dass die Kaffeetests bei Stiftung Warentest entweder eingestampft oder komplett überholt werden. Alles andere ist Brandstiftung.

Das alte Jahrtausend hat angerufen, es will seine Einstellung zurück!

Wenn ihr meine Befunde zum aktuellen Test nachvollziehen wollt, müsst ihr euch nicht unbedingt das PDF oder das Heft kaufen. Die größten Frechheiten sind online frei zugänglich.

Der erste Punkt, mit dem sich die Stiftung Warentest einen Ausweis für ihre völlige Ahnungslosigkeit und Ignoranz ausstellt, ist „So haben wir getestet“.

Hier beweist sich jedes Mal, dass die Prüfer den Schuss nicht gehört und keine Lust haben, ihr Testdesign zu überdenken. Denn die Grundparameter sind seit dem ersten Test 2009 generell gleich geblieben:

  • 21 ganze Kaffeebohnen mit 6 Espressoröstungen und 15 Caffè-Crema-Bohnen

  • 5 davon tragen das Bio-Siegel

  • „Verkaufsstarke Handels- und Herstellermarken sowie überregional erhältliche Produkte aus kleineren Röstereien“

  • „Fünf geschulte Prüfpersonen untersuchten…“

  • „Wir bereiteten die Getränke mit einem Kaffeevollautomaten zu, dabei verwendeten wir die Werkseinstellungen“

Wo soll ich anfangen? Vielleicht mit dem, was die Stiftung dummerweise vergessen hat? Bei ihrem Versuch von 2016, das Naturprodukt Espresso- und Kaffeebohnen in ein mundgerechtes Stück Verbraucherverdummung zu gießen, haben sie wenigstens einen halbgaren Extratest für Nachhaltigkeitskriterien untergebracht. 

KFE Bio Bonga Espressobohnen closeup

Und dieses Mal? Fehlanzeige. Nix. Nada.

Stattdessen haben sie ein großes Interview mit dem Experten Friedel Hütz-Adas veröffentlicht, in dem alle Probleme der Kaffeewelt auf den Punkt gebracht werden.

Nichts gegen Friedel. Kein Stück.

Doch allein die Existenz dieses Interviews im Spiegel des Testdesigns und der Testergebnisse ist das größte Armutszeugnis, das sich die Stiftung hätte ausstellen können. Dazu gleich mehr.

Die Stichprobengröße und -verteilung wirkt zwar etwas random, aber das ist egal. Was nicht egal ist, ist die Stichprobenauswahl:

Von den unbestimmt erwähnten „kleineren Röstereien“ bleiben bei genauerer Betrachtung drei übrig: Speicherstadt, Origo und Lebensbaum. Und auch die gehen nur mit zwei zugedrückten Augen als kleine(ere) Röstereien durch.

Ist das Argument „überregional erhältlich“ tatsächlich ernst gemeint? Hey Stiftung, kennt ihr Onlinehandel? Kennt ihr Kaffee-Abos? Kennt ihr von mir aus sogar Kaffeemarktplätze??

Kennt ihr Internet???

Interessant ist, dass das Expertenpanel inzwischen von acht auf fünf Personen geschrumpft ist. Leider haben auch diese Menschen mal wieder weder Namen noch Gesicht – wir vertrauen also darauf, dass sie wissen, was sie tun.

Obwohl, auch das scheint mir fraglich. Oder kennt ihr einen „Experten“, der Kaffeebohnen oder Espressobohnen auf einer Maschine in Werkseinstellung zubereitet, um eine vernünftige „sensorische Beurteilung“ (Anteil am Testergebnis 55 Prozent) abzugeben. 

Nein? Ich auch nicht.

Dass Kaffeevollautomaten als Test-Maschinen herhalten, ergibt Sinn. Das sage ich ohne Ironie. Diese Kategorie steht wesentlich öfter in Verbraucherküchen als eine Espressomaschine. Sonst hätte ich ja auch nicht meine Kaffeebohnen dafür optimiert.

Dass die Stiftung dabei „spezielle“ Caffè Crema-Bohnen promoten will, die es eigentlich so nicht gibt, lassen wir einfach mal so stehen. Schließlich verdienen ihre Kunden … äh, Testkandidaten … mit dieser hohlen Marketingbezeichnung das meiste Geld.

„Im Höhenflug“ ist höchstens eure Ignoranz!

Der Heft-Artikel mit der Überschrift „im Höhenflug“ ist ebenfalls eine kleine Schatzkiste voll funkelnder Idiotie. Das beginnt bereits im ersten Absatz:

„Latte Macchiato war vorgestern. Die Kaffeetrends heißen jetzt Nitro Coffee […] Bullet Proof […] oder Goth Latte“.

Kennt ihr den Onkel, der uralte Memes in den Familienchat schickt und von allen anderen nur einen mitleidigen Smiley kassiert?

So geht es der Stiftung Warentest mit Kaffee.

Während die Kaffeewelt bereits die vierte Welle ausgerufen hat, in der Nachhaltigkeit und Transparenz die wichtigsten Qualitätsmerkmale sind, labert die StiWa noch von schwarzen Lattes, die niemand jemals Goth Latte genannt hat.

So richtig schön wird es aber erst danach:

„Die Preisspanne ist mit 8 bis 34 Euro pro Kilo groß. Doch egal, ob günstig oder teuer: An der Qualität der Bohnen ist kaum etwas auszusetzen.“

Fuuuuuuu …. you! Dieser Absatz bringt alles auf den Punkt, was bei der Stiftung schiefläuft. Ohne, dass ich ihn die Kandidatenliste schauen musste, wusste ich sofort, dass die 34 Euro pro Kilo nur von Illy kommen können.

Warum ich das wusste? Weil die Stiftung seit Jahr und Tag immer wieder dieselben Marken bzw. Bohnen testet. Ein bisschen Discounter, die üblichen Supermarktkaffees, ein paar Alibi-Röstungen von Marken mit grünem Image. Ich kenne diese Aufstellung langsam im Schlaf.

Schwarzer Kaffee Supermarktkaffee

Viel schlimmer ist jedoch die Botschaft, die aus der auf links gedrehten Verbindung von Preis und Qualität hervorgeht:

30 Euro wären nicht „teuer“. Wenn die Kaffeebohnen aus Direkthandel und handwerklicher Röstung stammten und mit klarer Nachhaltigkeitsausrichtung von Röstereien mit Gesicht und Mission angeboten würden.

Sie sind nur „teuer“, wenn sie von einem Konzern kommen, der euch irgendwelche Bohnen unterjubelt, von denen ihr noch nicht einmal wisst, aus welcher Himmelsrichtung sie stammen.

Und acht Euro für ein Kilo? Das ist nicht „günstig“. Das ist inakzeptabel. In jeder Hinsicht. Ich will nicht schon wieder den langen Rechenweg vom Kaffeebauer bis zum Verbraucher (und wieder zurück) aufmachen. Das könnt ihr zum Beispiel in meinem Beitrag „Was bekommen Kaffeebauern?“ verfolgen.

Kaffeefarmer in Brasilien auf der Santa Alina Farm

Fakt ist, dass Acht-Euro-Bohnen im Jahr 2021 schon lange nicht mehr als qualitätsvoll zu bezeichnen sind. Noch weniger sollten sie für eine Testauswahl herangezogen werden.

Selbst wenn die Billig-Bohnen schlechter abschneiden sollten (was sie hier nicht tun), ist ihre überproportionale Präsenz in einer solchen Auswahl klare Werbung für das gesamte kranke System. Denn der Illy-Kilopreis ist hier nur die Ausnahme. Nicht die Regel.

Danach hatte ich schon keine Lust mehr, weiterzulesen. Bis ich zum letzten „Tipp“ vor dem eigentlichen Test gekommen bin:

„Achten Sie auf Bio- und Nachhaltigkeitssiegel […]. Allerdings tragen nur neun Produkte im Test eines. Auch Kaffee von Unternehmen, die auf Direkthandel setzen, kann eine gute Wahl sein. Unser Experte im Interview rät zudem, direkt beim Anbieter ihres Lieblingskaffees zum Thema Lieferketten nachzufragen.“

Liebe Stiftung, wir sind geschiedene Leute.

Die bodenlose Frechheit, die Verantwortung ausschließlich dem Kunden in die Schuhe zu schieben, während man selbst nur Marken promotet, die all diese „Tipps“ nicht erfüllen, lässt sich kaum in Worte fassen.

Oder doch – es geht. In der einzig vernünftigen Stimme dieser ganzen Shit Show. Denn mit dem Interview mit Friedel Hütz-Adas stellt sich die Stiftung endgültig selbst ins Abseits.

Nachhaltigkeit? Das sollen andere machen …

Friedel Hütz-Adas arbeitet beim Südwind Institut für Ökonomie und Ökumene, das sich für gerechtere Wertschöpfungsketten in vielen Bereichen engagiert – auch bei Kaffee. 

Zur Relevanz dieses Instituts und seiner Arbeit kann ich keine Einschätzung geben. Doch was Hütz-Adas sagt, hat grundsätzlich Hand und Fuß. Zum Beispiel das hier:

„Kostet ein Kilo Kaffee im Supermarkt 11 Euro, erhalten sie [die Bauern, Anm.] davon bei niedrigen Weltmarktpreisen weniger als 2 Euro. Mit wenigen Ausnahmen haben sie keine Verhandlungsmacht: Sie müssen nehmen, was geboten wird.“

Während Friedel das sagt, gewinnt bei der Stiftung ein 8-Euro-Kaffee den Crema-Test, während bei den Espressobohnen immerhin 15 Euro fürs beste Kilo fällig werden. Im Heft wird dieser krasse Gegensatz dank schöner Aufbereitung von Interview und Test noch viel deutlicher.

Auf die scheinheilige Stiftungsfrage, ob sich denn in den letzten Jahren nichts an dieser Situation verbessert hätte, muss Friedel leider so antworten:

„Kaffee wird oft über Sonderangebote verkauft. Im Preiskampf treten Nachhaltigkeitsziele in den Hintergrund.“

Aber hey, bei diesen Preiskämpfereien bleibt wenigstens nicht die Qualität in der Tasse auf der Strecke – nicht wahr, Stiwa?

Am besten gefällt mir jedoch die Frage, was die Verbraucher tun können. Schließlich ist das ihr Job. Die Stiftung selbst hat mit ihren zigfach verkauften und zitierten Tests natürlich keinerlei Einfluss auf die öffentliche Einstellung zum Wert von Kaffee. Das ist nicht ihr Job. 

Oh Wait …

Sie brüstet sich damit, „unabhängig. objektiv. unbestechlich“ zu sein und als Prüfinstanz gegen Verbraucherverarsche ins Feld zu ziehen. Könnte damit eventuell doch eine Verantwortung einhergehen? So ein klitzekleines bisschen? Frage für einen Freund.

Friedel jedenfalls sieht das so:

„Schreiben Sie eine E-Mail an das Unternehmen Ihres Lieblingskaffees. Fragen Sie, ob es Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette ausschließen kann. Der Druck auf die Firmen muss steigen, sie haben die Verantwortung.“

Der letzte Satz ist der entscheidende. Die Stiftung selbst könnte diesen Druck aufbauen, statt ihn in den Worten von Hütz-Adams auf ihre Leser abzuwälzen. Allein schon mit dem simplen Kniff, die Testauswahl zu ändern. Oder wirklich auf Nachhaltigkeit zu testen.

Auch wenn ich den Grundgedanken des Experten richtig finde, zeige man mir einen Kunden, der Tchibo oder Aldi bei 8-Euro-Kaffee nach Menschenrechtsverletzungen fragt und eine ehrliche Antwort zurückerhält. 

Kaffeefarmer in Brasilien auf der Fazenda Pinheiro

Dieses Interview ist lächerlich  – nicht in seinem Inhalt, sondern in seinem Kontext.

Ich bin mir nicht sicher, unter welcher Prämisse Hütz-Adams diesem Interview zugestimmt hat. Ist er wirklich solch ein Experte, wie es den Anschein macht, hätte er sich sicher nicht dazu herabgelassen, den Scheiß der Stiftung zu unterstützen. Der Test widerspricht schließlich allem, was er dazu zu sagen hat.

Testsieger? Die Stiftung Warentest hat sich endgültig selbst gecancelt

Wer hat denn nun den großen Kaffeebohnen Test 1/2022 der Stiftung Warentest gewonnen? Wen interessiert’s? Der gesamte Test ist eine Ohrfeige für alle, die für besseren Kaffee und eine etwas bessere Welt eintreten.

Der gesamte Test ist ein Geschenk an die Industrie, die keine Lust hat, ihre Praktiken zu ändern und die Gewinnmargen zu senken. 

Ich weiß, dass ich mit meiner Analyse bis zu einem gewissen Punkt in einen dunklen Abgrund hinein brülle. Schließlich können wir der Stiftung Warentest genauso wenig die Rettung der Welt überantworten wie anderen einzelnen Akteuren.

Mich macht es nur unendlich wütend, dass diese reichweitenstarke Verbraucherorganisation nicht einmal ansatzweise den Eindruck macht, als würde sie sich mit dem (notwendigen) Wandel in der Kaffeewelt beschäftigen.

Ganz im Sinne ihres Testdesigns arbeitet die Stiftung mit einem Kunden- und Marktbild auf Werkseinstellung. Und glaubt tatsächlich, dass dabei Qualität oder Mehrwert rauskommen können.

Go home, Stiftung. You are drunk.

Ich bin unfassbar auf eure Meinung gespannt. Widerspruch wird gern entgegengenommen. Wo? Natürlich in den Kommentaren!

Dein Kaffee-Experte
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Arne Preuss

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