ADHS und Koffein: Hilft oder schadet Kaffee?

Moin! Ich bin Arne. Nach einigen Jahren als Barista habe ich mich einer Mission verschrieben: mehr guten Kaffee unter die Leute zu bringen. Dafür stellen mein Team und ich eine breite Wissensbasis zum Thema Kaffee für euch bereit.

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Eigentlich wollte ich diesen Text zum Zusammenhang von ADHS und Koffein nicht schreiben. Denn erstens ist die Studienlage dünn, zweitens ist bei einer Störung wie ADHS die Aluhut-Fraktion meist nicht weit.

Projekt Koffeinkick Siebtraeger Kaffeebezug

Eigentlich wollte ich diesen Text zum Zusammenhang von ADHS und Koffein nicht schreiben. Denn erstens ist die Studienlage dünn, zweitens ist bei einer Störung wie ADHS die Aluhut-Fraktion meist nicht weit.

Die Frage, ob und wie Koffein ADHS-betroffenen Patienten helfen kann, ist trotzdem ein Thema. Analog zu meinen Koffein-Beiträgen wie Koffein und Schlaf oder Koffein und Stoffwechsel habe ich deshalb die Wissenschaft befragt.

Erneut gilt: Ich bin kein Arzt, ich teste Kaffee und Geräte. ADHS ist für Betroffene und ihre Familien eine ernstzunehmende Sache, die in jedem Fall medizinisch-psychologisch betreut werden muss. Und zwar nicht vom Internet.

Der ADHS-Koffein-Zusammenhang: Das Wichtigste im Überblick

  1. Die Wirkung von Koffein bei ADHS ist absolut nicht geklärt.

  2. Es scheint nur festzustehen, dass Koffein nicht zur Entwicklung der Krankheit beiträgt.

  3. Koffein zur Selbstmedikation ist ein Risiko.

Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS): Ursachen, Symptome, Behandlung

Zur Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS, englisch ADHD, definiert nach ICD 10 / F90 0) gibt es mindestens genauso viele Fehlannahmen wie zu Kaffee und Stillen oder Koffein und Abnehmen.

Es handelt sich weder um eine „Krankheit“ noch tritt sie nur bei Kindern auf. Kinder mit Schwierigkeiten in Sachen Konzentrationsfähigkeit oder mit „zu viel“ Energie haben zudem nicht automatisch ADHS. Und bei der Behandlung von ADHS werden die Betroffenen nicht einfach in Ritalin-Zombies verwandelt.

Mehr als ein einfacher ADHS-Test: Die Diagnose

ADHS ist eine neurologische Störung bzw. Entwicklungsstörung, die durch das Zusammenspiel von drei zentralen Symptomgruppen definiert ist:

  1. Hyperaktivität

  2. Impulsivität

  3. Unaufmerksamkeit

Fehlt eines dieser Elemente, handelt es sich entweder um eine verwandte Form wie die Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ADS) oder ein komplett anderes Problem1.

Zwar findet man im Netz zahlreiche Selbsttests, die bei der Diagnose von ADHSlern helfen sollen. Eine wirkliche Feststellung kann aber nur durch einen Arzt erfolgen.

Kinder, Erwachsene, Männer, Frauen: Wer hat ADHS?

Im Querschnitt verschiedener Statistiken tritt ADHS bei 3 bis 6 Prozent aller Kinder auf2. Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen.

ADHS Probleme bei Kindern

Es handelt sich jedoch nicht nur um eine „Kinderkrankheit“. Bei etwa 50 Prozent aller in der Kindheit diagnostizierten Menschen zeigen sich die Probleme als Jugendlicher oder Erwachsener.

Mit zunehmendem Alter verschieben sich allerdings die Hauptsymptome: Während Kinder vor allem mit Hyperaktivität auffallen, haben Jugendliche oder Erwachsene Schwierigkeiten mit der Konzentration, ihrer Wachsamkeit oder leiden unter Schlafstörungen und Schlaflosigkeit. In jedem Fall sorgt ADHS (wie auch ADS) für große Herausforderungen im Alltag und kann neben dem eigentlichen Phänomen weitere psychosoziale Probleme nach sich ziehen.3

Gene oder Umwelt: Was ist die Ursache?

ADHS kann man sich nicht einfangen wie einen Schnupfen – erst recht nicht durch Impfungen oder die Nähe eines Windrads. Als neuronales Störungsbild spielen hier nach jetzigem Kenntnisstand genetische Risiken die größte Rolle.

2022 konnten Wissenschaftler in einer Studie Defekte am Protein CAPRIN 1 als mögliche Ursache für ADHS identifizieren.4

Der Einfluss von Umweltfaktoren wird jedoch heiß diskutiert – und hier betreten wir schnell Aluhut-Territorium. Mediziner streiten zum Beispiel, inwieweit das Verhalten des gebärenden Elternteils in der Schwangerschaft zur Ausbildung von ADHS führen kann.

Alkohol, Nikotin oder Kaffee in der Schwangerschaft als Ursache?

Werden ungeborene Kinder Alkohol und Nikotin ausgesetzt, soll dies laut mehrerer Studien die Ausbildung von ADHS begünstigen.5

Auch wenn Koffein in der Schwangerschaft als heikel gilt, konnten Wissenschaftler aber bisher keinen Zusammenhang zwischen dem Konsum von Kaffee und einem Koffeineinfluss auf ADHS bei Kindern nachweisen.6

Behandlung: Körper, Geist & Medikamente

Menschen mit ADHS aller Altersgruppen werden auf mehreren Ebenen behandelt. Einerseits geht es darum, etwa auf ein hyperaktives Kind durch therapeutische Maßnahmen beruhigend einzuwirken. Andererseits geht es darum, den Eltern Kraft zu geben oder die Angstzustände erwachsener Menschen zu therapieren.

Medikamente sind in der Öffentlichkeit zwar am bekanntesten, werden von Medizinern aber nur dann verschrieben, wenn andere Maßnahmen nicht zu mehr Konzentration und weniger Unruhe führen.

Die Arzneien haben eine hohe Wirksamkeit. Sie können aber weder Wunder bewirken noch sind sie frei von Nebenwirkungen. Medikamente zur Behandlung von ADHS lassen sich in zwei Gruppen und fünf zugelassene Wirkstoffe einteilen:

  • Stimulanzien (Metyhlphenidat, Dexamfetamin bzw. Dexamphetamin, Lisdexamfetamin)

  • Nichtstimulanzien (Atomoxetin, Guanfacin)

Vier der fünf Stoffe agieren als Dopamin- und Noradrenalin-Wiederaufnahme-Blocker. Guanfacin ist ein sogenannter α2A-Adrenorezeptor-Agonist. Einfach erklärt, regulieren alle Wirkstoffe die Ausschüttung bestimmter Botenstoffe im Gehirn. Der Dopaminspiegel wird reguliert, ADHS-Verhaltensweisen bzw. -Reaktionen sollen gemildert werden.

Kindern und erwachsenen Menschen wird nicht nur jeweils eine unterschiedliche Dosis verabreicht, es werden auch unterschiedliche Wirkstoffzusammensetzungen empfohlen. 

Das bekannteste ADHS-Medikament ist Ritalin. Es wird von Novartis hergestellt und setzt auf Metyhlphenidat. Dieser zählt zu den Amphetamin-verwandten Stoffen und unterliegt wie andere Drogen dem Betäubungsmittelgesetz.

Natürlich gibt es kein Medikament ohne mögliche Nebenwirkungen. Bei ADHS-Arzneien wird häufig von Appetitlosigkeit, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Ermüdung bzw. Müdigkeit, Übelkeit und Irritabilität berichtet. Auch ein gestörter Schlafrhythmus oder eine Häufung von Angstzuständen sind möglich.

Mit Koffein gegen ADHS?

Mit Koffein gegen ADHS?

Ich finde es superinteressant, wie sehr wir an Koffein als Substanz voller wunderbarer Widersprüche glauben wollen. 

Die „typischen“ Auswirkungen bzw. Nachteile von (zu viel) Koffein in Energy Drinks, Tee, Schokolade und Co sind hinlänglich bekannt: Nervosität, erhöhter Herzschlag, Zappeligkeit, Schlaflosigkeit usw. 

Dabei kommt es aber auf die Toleranz, die tatsächliche Menge, das Zusammenspiel von Koffein mit Stoffen wie Zucker, die Zubereitungsart und die typische Konsummenge (siehe Koffein-Studie) an.

Koffein agiert als Blocker der Adenosinrezeptoren im Gehirn. Genau wie etwa Methylphenidat zählt Koffein zu den Stimulanzien. Das macht Koffein im Sport besonders attraktiv. Auch beim Zusammenhang von Koffein und Stoffwechsel sehen Forscher manche Vorteile.

Die „paradoxe Reaktion“ zur Selbstmedikation

Aufgrund ähnlicher Eigenschaften kann man auf die Idee kommen, dass Koffein einen ähnlichen Effekt wie ein ADHS-Medikament haben kann. Tatsächlich gibt es Berichte, nach denen eine Verringerung einiger Störungssysmptome nach Koffeinkonsum beobachtet wurde. 

In den Medien wird dies „paradoxe Reaktion“ genannt. Allerdings handelt es sich nur um persönliche Erfahrungen und Beobachtungen am eigenen Körper. Geht es um medizinische Fakten, sieht es dünn aus. Lediglich zwei aktuellen Studien beschäftigen sich explizit mit der paradoxen Wirkung: 

  • Vázquez et al. (2022) haben in einer Meta-Analyse verschiedener Tierstudien herausgefunden, dass Koffein sowohl die Aufmerksamkeit als auch Lernfähigkeiten von ADHS-Patienten steigern kann. Allerdings zeigen sich genauso gegenteilige Effekte wie stärkere Hyperaktivität und Impulsivität.

  • Ágoston et al. (2022) halten fest, dass zwischen Koffein und der Minderung von Störungssysmptomen kein Zusammenhang besteht. Sie betonen vielmehr, dass eine hohe Koffeinaufnahme als „Selbstmedikation“ die Symptome verstärken kann.

Keine Wirkung oder doch?

Ich finde insbesondere den zweiten Part wichtig: Medien dampfen sehr vielschichtige wissenschaftliche Fakten zu einer einfachen, gut klickbaren Aussage zusammen. 

Diese adressiert Ängste und bringt Menschen bzw. Betroffene dazu, sie als Fakt zu betrachten und dem „Rat“ zu folgen – ohne dass die Nachteile umfassend beleuchtet werden.

Grundsätzlich sollten wir festhalten, dass derzeit Untersuchungen überwiegen, die keine positive Wirkung von Koffein oder Kaffee auf ADHS-Symptome finden. Dabei müssen wir auch festhalten, dass die meisten Studien an Tieren durchgeführt wurden, was die Übertragung auf den Patient Mensch erschwert.

Außerdem stellen faktisch alle ernsthaften Untersuchungen fest, dass die verschreibungspflichtigen Medikamente weitaus bessere Wirkungen zeigen als Koffein. Und nicht zuletzt ist die Faktenlage so dünn, dass immer wieder dieselben Forschungsberichte recycelt und zitiert werden – etwa eine Studie von 1975.

Espresso, grüner Tee, Taurin: Dürfen ADHS-Patienten überhaupt Koffein einnehmen?

Espresso in der  Hand nah

Wer Koffein nicht (vordergründig) aufgrund seiner Wirkung, sondern als Teil der alltäglichen Ernährung zu sich nimmt, muss sich bei ADHS Gedanken machen, ob das eine gute Idee ist.

Wenn es schon keine positiven Auswirkungen gibt, wie steht es dann um negative Folgen von Tee, Cola, Mate, Energy Drinks oder gar Schokolade? Dazu schweigt sich die Wissenschaft bisher aus.

Anekdotisch wird in ADHS-Foren geraten, insbesondere bei der Einstellung auf (neue) ADHS-Medikamente auf Koffein zu verzichten – schon allein, weil viele Menschen auf die Substanz stärker reagieren.

Dabei sollten wir jedoch bedenken, dass etwa Schokolade weniger Koffein als Erfrischungsgetränke hat und dass gerade Kinder sowieso nicht zu viel Koffeinhaltiges bekommen sollten.

Um wenigstens einen Anhaltspunkt zu haben, habe ich den Beipackzettel eines Metyhlphenidatprodukts studiert. Hier werden weder Kaffee noch Koffein in irgendeiner Form erwähnt. Vor der gleichzeitigen Einnahme von Alkohol wird aber deutlich gewarnt.

ADHS durch Kaffee? No way! Müde & beruhigend? Unklar.

Meine kleine Analyse zu einem speziellen Aspekt der Koffein-Gesundheit-Thematik kann keine definitiven Antworten geben. Ich kann nur drei klare Ansagen machen:

  • Bekommt man von Koffein ADHS? Nein.

  • Hilft Koffein bei ADHS? Nur laut individueller Erfahrungen einzelner Menschen.

  • Sollte man bei ADHS oder ADS Energy Drinks, Cola und Co konsumieren? Dazu gibt es keine gesicherten Fakten.

Wirklich alles, was darüber hinausgeht, klärt ihr mit einem Arzt. Falls euch das Thema Koffein in unheikleren Bereichen eures Lebens interessiert – zum Beispiel in Sachen Müdigkeit – schaut mal in meine Analysen wie Koffein und Schlaf oder Koffein und Abnehmen.

Falls ihr einen Kommentar hinterlassen möchtet, bitte ich euch nur, keine ungesicherten Behauptungen aufzustellen. Denn beim Thema Gesundheit sollten wir immer vorsichtig sein.

FAQ

Wissenschaftliche Untersuchungen konnten bisher keine klaren Zusammenhänge zwischen ADS, ADHS und Koffein bzw. Kaffee herstellen.

Die Forschung empfiehlt Menschen mit dieser Diagnose eine Mischung aus Therapie und möglicher Medikation. Die Kombination muss individuell festgelegt werden.

Quellen:

  1. Vgl. Fries & Moosecker: „Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADS / ADHS)↩︎
  2. Zentrales adhs-netz (2016) Eckpunktepapier:„Eckpunkte der Ergebnisse der vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung durchgeführten interdisziplinären Konsensuskonferenz zur Verbesserung der Versorgung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS)↩︎
  3. Banaschewski et al. (2018) AWMF Leitlinie: „Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter↩︎
  4. Pavinato et al. (2023) Brain: „CAPRIN1 haploinsufficiency causes a neurodevelopmental disorder with language impairment, ADHD and ASD“   ↩︎
  5. Han et al (2015) Psychiatry Res.: „The effects of prenatal exposure to alcohol and environmental tobacco smoke on risk for ADHD: a large population-based study.↩︎
  6. Del-Ponte et al. (2016) BMJ Open: „Caffeine consumption during pregnancy and ADHD at the age of 11 years: a birth cohort study.↩︎
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Arne Preuss

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