Fairtrade Kaffee: Der Geschmack des guten Gewissens

Moin! Ich bin Arne. Nach einigen Jahren als Barista habe ich mich einer Mission verschrieben: mehr guten Kaffee unter die Leute zu bringen. Dafür stellen mein Team und ich eine breite Wissensbasis zum Thema Kaffee für euch bereit.

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Fair gehandelte Kaffeebohnen klingen nach glücklichen Kleinbauern, perfekten Lebensbedingungen, Umweltschutz in jedem Arbeitsschritt und null Kinderarbeit. Mit dieser Wirkung lässt sich hervorragend Geld verdienen.

Brasilien Kaffeefarm 2022 Ernte kaffeekirschen

Fair gehandelte Kaffeebohnen klingen nach glücklichen Kleinbauern, perfekten Lebensbedingungen, Umweltschutz in jedem Arbeitsschritt und null Kinderarbeit. Mit dieser Wirkung lässt sich hervorragend Geld verdienen.

Wenn Industrieröster wie Lavazza, Nespresso oder Darboven unser Gewissen mit einem offiziell aussehenden Siegelsticker auf ihren Bohnen beruhigen wollen, kann etwas mit diesen Siegeln nicht stimmen.

So gut die Idee hinter Fairtrade-Kaffee ist, so heikel ist ihre Umsetzung. Denn Fairtrade ist weniger ein Fair-Trade-Konzept als eine Marketing- und Markenstrategie.

Der Unterschied zwischen Fair und Verarsche ist so schwierig zu erkennen, dass genau diejenigen Händler damit eine goldene Nase verdienen, die den Weltmarkt für Kaffeebohnen überhaupt kaputt gemacht haben.

Nun ist es keine Neuigkeit, dass ich nichts von Siegeln halte. Schließlich prangt auf meinen Kaffeebohnen aus Brasilien nicht eine einzige Zertifizierung, obwohl sie nicht nur fair, sondern auch direkt gehandelt sind und aus Bio-Anbau stammen.

Damit bin ich nicht allein. Zahlreiche „echte“ Röstereien wie zum Beispiel quijote Kaffee aus Hamburg, die Flying Roasters aus Berlin oder backyard coffee aus Frankfurt betreiben lieber Direct als Fair Trade. Und von Fairtrade halten sie schon gar nichts. Warum eigentlich nicht? Und warum ist das Leerzeichen so wichtig?

Fairtrade-Siegel-Übersicht: Fairer Handel als Geschäftsmodell

Laut Definition müsste fairer Kaffeehandel auf dem Gerechtigkeitsprinzip beruhen. Jeder Akteur in der Wertschöpfungskette wird anständig behandelt und nach seinem tatsächlichen Beitrag zum Produkt entlohnt.

Davon ist der Kaffeeanbau jedoch weit entfernt. Obwohl Kaffeefarmer in Nicaragua, Äthiopien, Guatemala, Peru oder eben auch Brasilien den Löwenanteil der Arbeit leisten, erhalten sie das wenigste Geld.

Das ist Absicht, schließlich sollen die Kunden in den westlichen Ländern ihren Kaffee bei Aldi, Lidl, Rossmann und Co möglichst billig kaufen können, während die Händler daran trotzdem kräftig verdienen wollen. Über diesen Unsinn habe ich mich bei meinem Supermarkt Kaffee Test schon vor ein paar Jahren ausgelassen. 

Das Fairtrade-Siegel

Initiativen wie die Fairtrade Labeling Organisation International (FLO) wollen das ändern. Diese Dachorganisation verwaltet nationale Partner, darunter auch Fairtrade Deutschland. Die FLO vergibt ein Siegel, mit dem teilnehmende Anbieter nachweisen wollen, dass sie unter anderem folgende Fairtrade-Standards erfüllen: 

  • Verbesserung der Arbeits- und Lebensumstände auf den Plantagen

  • Umweltfreundliche(re) Produktion – keine Pestizide, weniger Wasser etc.

  • Transparente(re) Handelswege

  • Bezahlung über dem Weltmarktpreis für Kaffee plus Prämie

  • Investitionen in den Kaffeeregionen in Projekte zur Entwicklung der Arbeiter und Landwirtschaft

Der Schwerpunkt bei Fairtrade-Kaffee liegt, wie der Name schon suggeriert, auf wirtschaftlichen und sozialen Faktoren. 

Fairtrade Logo

Die Umwelt spielt zwar zwangsläufig hinein, steht aber nicht im Mittelpunkt. Dafür müsste sich Fairtrade-Kaffee zusätzlich als Biokaffee zertifizieren lassen – was aus diversen Gründen nicht funktionieren kann, wie ich im Artikel zum Thema Biokaffee“ ausführe.

So oder so soll sich der Konsument mit einem Bio-Fairtrade-Kaffee-Siegel die Garantie kaufen, dass seine Kaffeebohnen vom Start bis zum Ziel nicht auf dem Rücken der ärmsten Menschen dieser Welt entstanden sind.

Ein perfektes Beispiel ist Café Intencion von Darboven – der Pionier unter den doppelt gesiegelten Industrieröstern.

Damit sich Kaffee als Fairtrade-Kaffee bezeichnen darf, muss erst einmal eine Menge Geld an den FLO-Zusammenschluss fließen. Und das System dahinter ist ziemlich intransparent. Der eigentliche Zertifizierer heißt Flocert und macht keine öffentlichen Angaben zu den Kosten. Das ist ein Ansatzpunkt der breiten Kritik.

Laut einer Recherche des Berliner Rösters Coffee Circle beträgt der Mindestpreis für dieses Zertifikat rund 5.000 Euro für Kleinbetriebe. Die Preise steigen mit zunehmenden Anbauflächen.

Zusätzlich müssen Interessenten einen Lizenzvertrag mit Fairtrade eingehen. Bei Kaffee beträgt die Gebühr 0,22 Euro pro Kilogramm. Der Zertifizierer verdient also an jedem Krümel mit. Nichtmal die Stiftung Warentest ruft eine solche Umsatzbeteiligung auf.

GEPA: Fair Trade statt fairtrade

Nun hat jedes Unternehmen die Möglichkeit, die Ansprüche fairen Handels ohne Siegel umzusetzen – oder eigene Standards zu definieren. Die Gesellschaft zur Förderung der Partnerschaft mit der Dritten Welt mbH – kurz GEPA – macht genau das.

GEPA Logo

Früher mit fair gehandelten Produkten in eigenen Weltläden gestartet, ist die GEPA inzwischen ein riesiger Player, der in jedem Supermarkt zu finden ist. Hier ist Fair Trade ein Geschäftsmodell und folgt eigenen Kriterien.

Diese decken sich in vielen Punkten mit den Fairtrade-Anforderungen, wollen aber einen höheren Bio-Anteil abdecken und einen noch höheren Preis pro Bohne zahlen.

Ich habe jüngst ein Interview mit der GEPA und Pingo von Quijote Kaffee aus Hamburg geführt. Die kleine Kaffeerösterei mit radikalem Direct-Trade-Ansatz hat sich für eine spezielle Röstung mit dem Welthandels-Riesen zusammengetan.

Darin habe ich einen Widerspruch gesehen, den ich ansprechen musste und der uns gleich noch intensiver beschäftigen wird.

Zuerst wollen wir festhalten, dass es noch viele andere Initiativen und „Fair-Trade-Marken“ gibt, die den Kaffeegenuss mit gutem Gefühl entweder zertifizieren oder selbst verkaufen. Dazu gehören zum Beispiel Bio-Dachverbände wie Naturland oder Rapunzel.

Industrie-Siegel: Wenn Fair Trade zur Masche wird

Wenn ich auf einer Packung Tchibo-, Melitta- oder Edeka Gut & Günstig-Kaffee das Emblem der Rainforest Alliance sehe, möchte ich erst lachen und dann in meinen Espresso kotzen.

Denn hier wurde sich die Tatsache zunutze gemacht, dass niemand den Hintergrund von Siegeln checkt und es niemandem verboten ist, eigene Sticker aus der Taufe zu heben.

Die Initiative geht auf die Anstrengungen verschiedener Industrieplayer zurück und setzt selbst nach einer Reform Kriterien an, die so niederschwellig sind, dass auch die unfairsten Unternehmen locker unter dieses Siegel schlüpfen können.

Zudem haben mehrere investigative Recherchen ergeben, dass die Einhaltung der Kriterien kaum bis gar nicht kontrolliert wird. Wegweisend dazu war eine Oxfam-Studie auf Alliance-Plantagen für Obst. Gleiches gilt für das UTZ-Siegel, das speziell auch für Kaffee eingeführt wurde – und inzwischen zur Allianz gehört.

All das seht ihr den Kaffeesorten jedoch nicht an. Der Kunde greift bei Rewe und Lidl zu Kaffeepads, Instantkaffee, Kaffeekapseln oder ganzen Arabica mit dem grünen Froschsiegel und fühlt sich gleich um Längen besser.

Wenn faire Siegelei zum unfairen Wettbewerb führt

Das zentrale Problem an Fairtrade oder ähnlichen Siegeln ist nicht ihre Existenz – im Gegenteil. Jede Initiative, die für mehr Engagement und Nachhaltigkeit rund um die Bohne eintritt, ist begrüßenswert.

Kaffeebohne Close Up

Das Problem besteht in der Institutionalisierung und Wettbewerbsverzerrung. Die Zertifizierung ist teuer. Nehmen wir als Beispiel Kaffee aus Brasilien

Dieser stammt zum großen Teil aus der Hand von Kleinfarmern, die sich den Verkaufsförderer Fairtrade im Leben nicht leisten können.

Selbst, wenn diese Farmer ihre Kaffeekirschen nach allen Regeln der nachhaltigen Kunst behandeln und in jedem Schritt auf faire Bedingungen achten, bekommt das im Supermarkt in Deutschland keiner mit – denn der Kunde will ja das Instant-Aroma reinen Gewissens und greift deswegen zur Siegeltüte.

Dass diese Tüte nur ein bis zwei Euro pro Kilo mehr kostet als die billigen gemahlenen Kaffeesorten daneben, macht ihn nicht stutzig. Soll es auch nicht. Dafür ist der Sticker nämlich da. Weniger denken, mehr kaufen, schmeckt, passt, Hochland-Hurra!

Darüber hinaus ändert der Sticker nichts an der eigentlichen Systematik. Nochmal zurück zur Kaffeeernte in Brasilien: Viele kleine Farmer geben ihre Bohnen an große Kooperativen im eigenen Land, die sie an internationale Exporteure weiterreichen, die wiederum an nationale Importeure liefern, bevor der Arabica in der Rösterei ankommt.

Fairtrade ändert daran nichts. Der größere Umsatz wird einfach unter denselben (unnötigen) Zwischenhändlern aufgeteilt. 

Die eigentlichen Produzenten erhalten vielleicht ein bisschen mehr, während die eigentlichen Großverdiener einfach noch mehr bekommen. Zusätzlich halten auch noch die Zertifizierungsstellen die Hand auf.

Der größte Witz ist für mich jedoch, dass zertifizierte Marken in Geschmack und Qualität nicht besser sind als ungelabelte Angebote am Markt. Im Gegenteil:

Wenn Fairness zum Alleinstellungsmerkmal wird, kann man minderwertige Arabica-Kaffeebohnen, die im industriellen Röstverfahren zu Tode geschwärzt wurden, zum gleichen Preis wie einen hochwertigeren Arabica verkaufen.

Bio ohne Bio, Fair ohne Fair: Direct Trade als tragfähige Alternative

Direct Trade bzw. Direkthandel ist gleichzeitig eine konsequente Weiterentwicklung und ein Gegenentwurf zur Siegelei. Er rückt nämlich Konsumenten und Produzenten enger zusammen, statt sie über Zwischenschritte und Stickervernebelungen voneinander zu entfernen. Wenn dieser und weitere wesentliche Faktoren stimmen, kann der Kaffee für die Goldmedaille der deutschen Röstergilde beworben werden.

Kaffeefarm Brasilien

Der Röster stellt eine direkte Verbindung zur Farm her, kauft den Kaffee also ohne Zwischenhändler direkt beim Erzeuger. 

Gleichzeitig werden die Maßstäbe für Speciality Coffee angelegt, die den Fokus nicht nur auf Bio-Anbau und faire Bedingungen, sondern auch auf den Geschmack und die Hochwertigkeit der eigentlichen Produkte legen.

Über Qualität und Geschmack wird die Bohne also vom Anfang zum Ende gedacht – nicht andersherum. Daraus ergeben sich fast von selbst strengere Anforderungen an die Erzeugung der Bohne. 

Das funktioniert aber nur, wenn ich (bzw. der Röster) als Abnehmer meinen Erzeuger und sein Produkt persönlich kenne und diese Beziehung persönlich pflege. Nichts glauben, alles hinterfragen.

Das wiederum führt genauso selbstverständlich zu einer Schrumpfung des gesamten Prozesses: 

Ganz nach meinem Bohnen-Motto, dass unten nur was Gutes rauskommen kann, wenn ihr oben was Gutes reinkippt, wird die gesamte Produktion vom Anfang her verbessert. 

Zwischenhändler werden ausgeschaltet und der Erlös gerecht unter den tatsächlichen Erzeugern verteilt. Den „ersten Fairchain-Kaffee der Welt“ findet ihr im Übrigen bei Moyee Coffee, die zudem nachweislich klimaneutral Kaffee herstellen.

Mein Direkthandelspartner heißt Ocafi, der den Kaffee in Brasilien anbaut, ihn selbst nach Deutschland exportiert und an meinen Röster backyard coffee in Frankfurt liefert.

Andere Direkthandels-Röstereien wie eben Quijote Kaffee, Flying Roasters und tausende andere kleine Betriebe machen es ähnlich – und reden transparent über alle Prozesse inklusive Auflistung der Geldverteilung und Qualitätsinitiativen.

Die Pointe ist, dass die Schrumpfung im Direkthandel umso größere Auswirkungen hat, weil immer mehr Kaffeebetriebe auf diesen Trichter kommen. Siegelstellen sorgen eher für eine noch stärkere Konzentration, mit allen negativen Konsequenzen. 

Wie steht ihr zum Thema Fairtrade-Produkte und Siegelei? Ist meine Einstellung zu harsch? Ich freue mich auf eure Kommentare.

FAQ

Das Fairtrade-Siegel ist ein gekauftes Zertifikat, das von der Non Profit Organisation FLO an Kaffeeröster vergeben wird, die es sich leisten können und die Kriterien dieser Organisation erfüllen. Es soll bessere Arbeitsbedingungen in den Erzeugerländern garantieren.

Fair gehandelter Kaffee (ohne Siegelei) will die Bauern besser für ihre Produkte bezahlen und Lieferketten transparenter gestalten. Ökologische Aspekte spielen ebenfalls hinein. Der Begriff an sich hat jedoch keine klaren Grenzen und kann nach eigenem Ermessen der Hersteller verwendet werden.

Fairtrade-Kaffee bringt vor allem ein ruhiges Gewissen. Die Siegelei sagt nichts über die Qualität, den Geschmack oder die tatsächlichen Bedingungen in Erzeugerländern wie Peru oder Kolumbien aus. Eventuelle Vorteile oder Effekte lassen sich nur schwer nachvollziehen.

Kaffeebohnen aus Direkthandel, die vom Erzeuger direkt zum Röster geliefert werden, sind dann wirklich fair, wenn der Röster seine Handelsbeziehungen und die Geldflüsse komplett offenlegt und sich vor Ort engagiert. Echter Specialty Coffee erfüllt diese Bedingungen.

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