Eines muss man der Hipster-Community lassen: In Sachen Nachhaltigkeit und neuen Lösungen für alte Probleme hat sie manchmal den ein oder anderen genialen Geistesblitz. Einer dieser Blitze nennt sich Cascara.
Eines muss man der Hipster-Community lassen: In Sachen Nachhaltigkeit und neuen Lösungen für alte Probleme hat sie manchmal den ein oder anderen genialen Geistesblitz. Einer dieser Blitze nennt sich Cascara.
Das ist ein Aufguss, der nicht aus der Kaffeebohne, sondern aus den Schalen der Kaffeekirsche gewonnen wird. Diese Variante der Resteverwertung ist bei weitem nicht neu, wird aber von vielen kleinen Startups gepusht. Und dahinter wiederum steht der Gedanke, dass man Kaffeebauern auf der ganzen Welt eine neue Einnahmequelle verschaffen kann.
So weit, so hübsch utopisch. Doch Cascara – zumindest in der Form, wie wir es hierzulande lieben gelernt haben – steht möglicherweise vor dem Aus. Denn die EU findet, dass die Kaffeekirschen als „Novel Food“ erst einmal auf ihre Sicherheit überprüft werden müssen.
Ursprünglich wollte ich euch in diesem Artikel nur erklären, was Cascara genau ist, wie er schmeckt und warum die Idee dahinter so klasse ist. Und innerhalb weniger Monate ist aus dem einfachen Ratgeber ein kleiner Ausflug in die Welt der Gesetzgebung geworden.
Wie die Sache ausgeht, bestimmt nicht nur den weiteren Siegeszug von Cascara, sondern auch die berufliche Existenz mehrerer Start-ups.
Ein Blick auf die Kaffeekirsche – Woraus besteht Cascara?
Wie ich bereits in einem recht betagten Artikel zum Thema Kaffeebohnen festgehalten habe, sind diese eigentlich „Kirschkerne“. Und das unterstellt gleichzeitig, dass an der Kaffeekirsche noch mehr dran ist – nämlich Fruchtfleisch und Schale.
Diese beiden Komponenten landen normalerweise im Müll, weil sich damit einfach kein Geld verdienen lässt – odersie landen auf dem Feld als Dünger. Ein kleiner Teil jedoch wird von den Arbeitern und Kaffeefarmern seit Jahrhunderten aufgegossen und als Tee-Kaffee-Hybrid genossen.
Und das ist nicht dumm, denn in Schale und Fruchtfleisch stecken viele Nährstoffe und vor allem – Überraschung, Überraschung – sehr viel Koffein. Und zwar einfacher verfügbar als in der Kaffeebohne, aus der es nach sorgfältiger Röstung noch passgenau herausgelöst werden muss.
Das hat schon einen botanischen Grund, denn die Schale soll die restliche Frucht schützen und Koffein ist ein Insektenabwehrmittel. Also steckt viel davon schnell freisetzbar an der Oberfläche der Kaffeekirsche.
Durch das Trocknen werden die Kirschenschalen haltbar gemacht, durch das Aufweichen in heißem Wasser werden die feinen Fruchtaromen (ist ja immerhin `ne Kirsche) und eben das Koffein freigesetzt – et voila, wir hätten Cascara.
Der Hype um Cascara – Das steht hinter dem (angeblichen) Trend
Wenn das Manager Magazin genauso einen Cascara-Artikel veröffentlicht wie Focus oder die Berliner Zeitung, dann kann man davon ausgehen, dass der Hipness-Faktor eines Trends inzwischen wieder gen Null tendiert. Beim genaueren Hinsehen wird der gleiche Artikel aber auf allen drei Plattformen gefahren. Die Schlingel!
Und wenn Starbucks mit dem Cascara Latte ein In-Getränk auf die Karte nimmt, ist sowieso alles zu spät. Der Daily Mail-Artikel zum Starbucks-Revolutiönchen bringt aber gut auf den Punkt, was daran wirklich so spannend ist:
Indem ein „Abfallprodukt“ des Kaffeeanbaus zum Trend erhoben wird, eröffnen sich den meist jämmerlich unterbezahlten Kaffeebauern neue Einnahmequellen. Und wenn unter den Abnehmern eine der größten Kaffeeketten der Welt ist, dann reden wir hier nicht von Taschengeld.
Das ändert natürlich nichts an den Grundbedingungen: Wenn Großabnehmer über tausend Ecken Kaffee oder Kaffekirschen so importieren, dass am Ende nichts bei den Erzeugern hängen bleibt, dann macht das die Kaffeewelt auch nicht besser. Dann werden die Reichen nur noch reicher.
Für Kaffeekirschen gilt also das gleiche wie für Kaffeebohnen: Direkthandel ist immer die bessere Entscheidung! Ohne Wenn und Aber. Darum solltet ihr auch genau darauf achten, woher eure Cascara-Kirschen stammen und wer sie euch anbietet.
Der EU sei Dank: Der Status als Novel Food ist keine Auszeichnung!
Dass wir seit etwa Mitte/Ende vergangenen Jahres plötzlich nichts mehr von Cascara gehört haben, hat einen Grund. Denn die EU hat die Kaffeekirsche in den sogenannten „Novel Food-Katalog“ aufgenommen. Und zwar unter dem etwas irreführenden Oberbegriff „Coffea sp.“.
Das Problem an dieser zweifelhaften Ehre: Alle Produkte, die hier verzeichnet sind, gelten bisher in irgendeiner Darreichungsform nach EU-Lebensmittelrecht als nicht vollständig sicher. Der Grund: Sie wurden vor 1997 nicht in nennenswerten Mengen auf dem europäischen Markt verkauft und sind deswegen noch nicht hinreichend durchleuchtet.
Heißt also: Kaffeebohnen sind safe, Cascara sind „novel“. Was bedeutet dieser Status? Erst einmal nicht, was manche Kaffeeblogger oder Zeitungen behaupten. Cascara ist nämlich nicht per se verboten, sondern befindet sich in einem Schwebezustand zwischen „aus EU-Sicht einwandfrei“ und „nicht so ganz geklärt“.
Das Problem für viele Start-ups: Was die nachgeordneten Behörden mit diesem Status machen, ist eine ganz andere Sache. Sagt also die Berliner Lebensmittelaufsicht, dass Cascara aufgrund des EU-Status im Berliner Umkreis nicht mehr vertrieben werden darf, dann ist das vollkommen in Ordnung. Gibt ja noch genug andere Regeln, die damit zusammenhängen. Verrückt.
Für Unternehmen, die ihr Geschäftsmodell vollständig auf der Kaffeekirsche aufgebaut haben, kommt dieser Schwebezustand momentan also einem Todesstoß gleich. Eben weil man sich rechtlich nicht angreifbar machen will oder sogar aktiv gehindert wird.
Einige kleine Unternehmen pfeifen aber darauf und brauen oder vertreiben munter weiter – und sind damit ebenso nicht auf der illegalen Seite, solange eine nationale oder Landesbehörde nicht was anderes sagt. Noch verrückter.
Daraus entsteht ein solches Kuddelmuddel, das keiner mehr durchblickt und man möchte der Petze, die Kaffeekirschen an die EU verpfiffen hat, in den Hintern treten.
Und ja, diese Petze gibt es – ausgerechnet eine kleine Rösterei, die selber Kaffeekirschen vertrieben hat.
Wie schmeckt Cascara?
Man muss der Inhaberin von Selosoda aus Berlin lassen, dass sie auch aus dem für sie schlimmen EU-Zustand Kapital zu schlagen weiß und weiter kräftig die Werbetrommel für Kaffeekirschen rührt. Auch war sie laut Facebook-Page jüngst direkt bei der EU in Brüssel – das Ergebnis steht noch aus.
Ich erwähne Selosoda nur, weil ich an deren Stand einmal den Cascara-Aufguss, nicht die Brause, probiert habe. Und wie schmeckt dieser pure Aufguss, der eher als „Arme Leute-Kaffee“ verschrien und in etwa so sexy wie Caro Kaffee zu sein scheint?
Sagen wir mal so: Cascara bewegt sich irgendwo zwischen Mate ohne Süße, Blümchenkaffee und sehr starkem, schwarzen Tee. Die Verwandtschaft zur Kaffeebohne ist eindeutig. Auch die Frucht, etwa dunkle Beeren und Hibiskus, kann man selbst als ungeübter Gaumen erschmecken.
Wer Mate nicht mag und bei schwarzem Tee eher indifferent ist, wird mit Cascara auf jeden Fall NICHT warm. Und der Koffein-Kick ist in meinen Augen sehr viel direkter und auch wesentlich eckiger als bei gutem Kaffee etwa aus dem Handfilter.
Schlicht gesagt ist Cascara eine weniger elegante Form eines Third Wave-Kaffees, aber definitiv eine spannende Abwechslung.
Cascara – Ist dieser Artikel ein Nachruf?
Bis die EU mal aus der Hüfte kommt und die Prüferei abgeschlossen hat, kann viel Zeit vergehen. Obwohl ich fast sicher bin, dass Cascara die Hürde schafft, kann natürlich alles anders kommen.
Ich finde jedenfalls die wirtschaftliche Idee dahinter super, kann mich mit dem Geschmack anfreunden und finde auch den direkten Koffein-Kick besser als bei zuckrigen Energy-Drinks und Co.
Auch wenn mir bisher kein dritter Arm nach dem Cascara-Genuss gewachsen ist, kann ich die Absicht hinter einer solchen Prüfung verstehen. Aber bei Kaffee kennen wir die ewige Fragerei „Ist der Kaffee wirklich gesund?“ ja auch schon zu Genüge.
Der Wikipedia-Artikel sagt zwar vollmundig, dass das „zur Verwendung bestimmte Fruchtfleisch der Kirsche […] nur von Plantagen stammen [darf], die beim Anbau auf Chemikalien verzichten.“
Doch einfach so glauben darf man das natürlich nicht. Und der Artikel liest sich für mich so, als hätte ihn eines der Start-ups oder Unternehmen geschrieben.
In jedem Fall wäre/ist/war Cascara eine spannende Ergänzung zu unserer großen Kaffeebandbreite und schafft es als Tee-Kaffeehybrid, die altbekannte Lücke zu schließen.
Und das ist auf jeden Fall schon einmal was.
- Foto Quellen Artikel-Bild angepasst: pixabay.com/vandelinodias
- Foto Quellen I: pixabay.com/vandelinodias
- Foto Quellen II: pixabay.com/evoliva