Dunkle Bohnen, Wumms-Aromen und der unverkennbare Hauch von Industrie: Ich habe mir für euch große italienische Kaffeemarken genauer angeschaut. Das Ergebnis? Findet ihr, wenn ihr weiterlest.
Dunkle Bohnen, Wumms-Aromen und der unverkennbare Hauch von Industrie: Ich habe mir für euch große italienische Kaffeemarken genauer angeschaut. Das Ergebnis? Findet ihr, wenn ihr weiterlest.
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Was man beim Aufräumen nicht alles findet: Im Redaktionssystem liegt seit Monaten eine Aufgabe mit dem Titel „Arne testet alle klassischen Espressos, die noch bei ihm rumfliegen“.
Und Arne gleich reflexartig so: Ihr habt wohl n Rad ab!
Denn wenn ich „klassische Espressos“ höre, denke ich unweigerlich an rummsdunkle Röstungen, die hauptsächlich „kräftig“ schmecken und die es zum Nachtisch beim Italiener um die Ecke gibt. Ich denke an Klischees, Marken wie Lavazza oder Illy und damit an die dunkle Seite der Kaffeewelt – auch im übertragenen Sinne.
In Vorbereitung zum Marktplatz Test und aus diversen anderen Gründen fliegen bei mir jedoch tatsächlich diverse Illy-Dosen und andere Sorten rum, die euch von vielen Händlern immer als „bester Espresso“ oder „Klassiker“ oder sonst einen Blödsinn angepriesen werden.
Ihr könnt euch vorstellen, dass ich mich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt habe, diesen Krempel zu trinken. Ich habe es dennoch getan. Und es bitter bereut – manchmal wortwörtlich.
Trotz allem habe ich mich genauer mit dem Nimbus „italienischer Espresso“ beschäftigt und ein wenig herausgearbeitet, woran ihr ihn erkennt, wer dort in Sachen Image am lautesten brüllt und woher die Marken bloß dieses Selbstbewusstsein nehmen – obwohl sie der letzte Sch… auf dem Planeten sind.
Die großen italienischen Espressomarken im Überblick
Für diesen Test, der eigentlich eher eine verbale Ohrfeige für alle vorgestellten Kaffees ist, habe ich mir folgende Produkte genauer angeschaut:
- Caffè Diemme Oro: 26,00 Euro pro kg
- Drago Mocambo: 16,40 Euro pro kg
- Barbera Classica: 27,60 Euro pro kg
- Illy Classico: 22,60 Euro pro kg
- Illy Intenso: 30,00 Euro pro kg
(Preise im Verhältnis zur Füllmenge)
Mal abgesehen davon, dass ich den Industrie-Italiener-Bash sowieso vorhatte, habe ich die Bohnen größtenteils nur wegen der Dosen behalten. Daraus lassen sich schließlich super Blumentöpfe, Stiftehalter oder andere Geschenke zaubern.
Doch allein schon an den Kilopreisen im Verhältnis zur Qualität seht ihr einen wichtigen Grund, warum ich nie ernsthaft vorhatte, sie zu trinken.
Schließlich weiß ich seit Langem, dass gerade Illy trotz minderer Bohnen, Industrieröstung und undurchsichtiger Beschaffung einen Premium-Preis für ein Premium-Image verlangt.
Der Intenso ist wohl deswegen der teuerste dieser Kaffees, weil sich Illy nicht erblödet, folgendes auf die Packung zu schreiben:
Illy has been perfecting it’s unique blend of 9 Arabica origins for more than 80 years.
Liebes Marketingteam von Illy, warum schreibt ihr nicht einfach gleich „Wir nehmen unsere Bohnen, wo wir sie gerade kriegen. Es ist uns völlig wurscht, wo sie herkommen. Hauptsache, sie kosten uns wenig und euch viel“?
Jeder Neuling im Thema Kaffeebohnen weiß inzwischen, dass ein Kaffee nicht durch die reine Anzahl unterschiedlicher Sorten zu einem guten Produkt wird. Da finde ich die Angeberei mit neun völlig undefinierten Sorten einfach nur noch frech.
Illy wurde übrigens vom gleichnamigen Entwickler des ersten Vorläufers unserer heutigen Siebträgermaschinen gegründet. Daraus wurde ein Konzern mit geräumigen 483 Millionen Euro Umsatz im Jahr 2018 (Quelle: Unternehmensseite Illy).
Dennoch firmiert Illy mit Hauptsitz in Triest, wie verdächtigerweise fast alle italienischen Hauptmarken, unter dem schönen Schlagwort „Familienunternehmen“.
Das wird an mehreren Stellen von allen Brands dermaßen betont, dass ihr gar nicht anders könnt, als an die nonna zu denken. Die röstet im Hinterstübchen leicht gebeugt und mit einer italienischen Volksweise auf den Lippen kleine Portiönchen Kaffeebohnen nach geheimem Familienrezept.
Aldi ist auch ein „Familienunternehmen“, aber hier ist glasklar, dass wir es mit einer riesigen, gesichtslosen Bude zu tun haben. Selbst bei Claus Hipp, der immerhin mit seinem Namen für seinen Babypamps steht, glaubt keiner daran, dass Oma Hipp den Spinatmatsch in der heimischen Küche rührt.
Die italienischen Espressomarken haben uns diese Heimeligkeit aber so gut eingeimpft, dass wir bedingungslos daran glauben. Dumm ist das nicht. Nur eben nicht die Wahrheit.
Um die Wahrheit nicht zu sehr überzustrapazieren, spricht etwa Barbera bei der Bohnenherkunft nur noch von „several types of pure choice coffee beans“, Diemme und Mocambo sagt einfach gar nichts mehr zu den Bohnen. Ganz nach dem Motto: Solange keiner fragt, muss man zu den Beschaffungsstrukturen auch nicht lügen.
Barbera stammt aus Neapel, steht also für den dunkelsten Kaffeestil, den wir aus Italien kennen. Mocambo mogelt sich immer wieder in viele italienische Probierpakete auf Kaffeemarktplätzen, ist aber eigentlich eine Chimäre. Denn er stammt aus den Händen der italienischen Familie Drago, wird aber seit mehreren Jahrzehnten in Radevormwald in NRW geröstet.
Caffè Diemme aus Padua gilt als „Edelmarke“ – zumindest nach Aussage des Handelsblatts – und lässt sich diese Außenwirkung im Vergleich einiges kosten – zumindest auf Supermarktkaffee-Niveau.
Warum es als Edelmarke gilt? Keine Ahnung. Vielleicht, weil es mit Aussagen wie der folgenden durchkommt:
Caffé Diemme mischt die edelsten Arabica- und Robusta-Bohnen dieser Welt zu einem Traum! Der Röstvorgang ist selbstverständlich langsam und schonend, denn nur so entsteht ein wirklich großartiger und wundervoller Kaffee.
Wer, was, wann, wo und wie gemischt und geschont hat, wird aber nicht verraten.
In einer formalen Hinsicht liegen die Supermarkt-Schwurbler aber aus Versehen ganz auf der richtigen Linie: Mir ist früher schon aufgefallen, dass Illy mit seiner Produktionsnummer, die ihr auf dem Dosenboden findet, ein Röstdatum angibt.
Jetzt habe ich festgestellt, dass das auch für Barbera und Diemme gilt. An der Kombination hinter dem Buchstaben P könnt ihr das Produktionsdatum ablesen, unter E (wie „Expiration Date“) findet ihr das Mindesthaltbarkeitsdatum. Immerhin etwas.
Geruch und Bohnenbild
Merkt euch eines: Wenn ihr nach einem Espressobohnen Test das dringende Bedürfnis habt, die Wohnung stundenlang durchzulüften, waren die Bohnen eine Zumutung.
Schon beim Öffnen der verschiedenen Alubeutel und Dosen wusste ich blind, was mir hier in die Nase stieg: Massenmarkt-Schrott. Es gab eine bunte Mischung aus allen möglichen Industrie-Nuancen.
Wir hätten im Angebot: Terpentin, Ammoniak (Illy), ein bisschen brennendes Gummi, staubige Asphaltstraße im Sommer (Mocambo) und – mein persönliches Highlight – die Methanwolke (Barbera).
Am schlimmsten schnitten die Dosen mit ihrer luftdichten Versiegelung ab. Beim Barbera kam folgende Aussage beim Rudelschnüffeln: „Das riecht nach allem, nur nicht nach Kaffee.“
Mit dem Barbera hatte ich beim Fotografieren auch am meisten Spaß. Denn solche dunklen Bohnen müsst ihr gesehen haben, um sie zu glauben. In diversen anderen neuen Kaffeebohnen Tests habe ich erwähnt, dass meine Fehlentscheidung beim Lagern zu übermäßigem Ölaustritt geführt hat.
Ausgerechnet der Barbera durfte aber am richtigen Ort in seiner luftdichten Verpackung schlummern. Daher sind der Glanz und die Fettigkeit der Bohnen ein rein hausgemachtes Problem einer Industrieröstung, die den Rohstoff bis zur Unkenntlichkeit verbrutzelt.
Und da das noch nicht einmal gleichmäßig geschehen ist, die Bohnen unterschiedliche Flecken, Löcher und sonstwas aufweisen, ist Barbera in diesem Fall zweifelsohne der Anti-Sieger.
Am einheitlichsten sah der Diemme aus, der auch beim Geruch am wenigsten schrecklich war. Die Illy Classico Bohnen waren im Vergleich ebenfalls recht sauber, doch fühlten sie sich verdächtig leicht an. Das ist immer ein Zeichen für ein recht langes Bohnenleben – schon vor der Verarbeitung.
Geschmack und „Mundgefühl“
Ihr glaubt doch nicht im Ernst, dass ich mir die Kaffees alle reingezogen habe, oder? Ich bin doch nicht lebensmüde. Ich habe mir stattdessen zwei krasse Exemplare rausgesucht. Das wäre – natürlich – zum einen der Barbera. Und zum anderen habe ich den Illy Classico noch einmal in der Espressomaschine zubereitet.
„Noch einmal“, weil ich diese Mische schon Anfang 2016 in Grund und Boden getestet habe und mal schauen wollte, ob sich was am Eindruck verändert hat. Hat es tatsächlich. Nur nicht zum Guten.
Im ersten Testbericht zum Illy Espresso habe ich festgehalten, dass es sich um einen „gut trinkbaren Espresso“ handelt, der ziemlich gewöhnlich ist und keinen Eindruck hinterlässt. Dieses Mal habe ich ihn sofort zurück in die Tasse gespuckt.
Denn was da in meinem Mund ankam, war eine saure Mistbrühe, die ich nie wieder schmecken will. Das mag daran liegen, dass ich inzwischen meine Fühler zum Thema Säuren noch stärker verfeinert habe und empfindlicher geworden bin. Oder an der Tatsache, dass die Mistmische mit den Jahren einfach immer schlechter wird.
Der Barbera wurde zwar nicht zurückgespuckt, hatte aber ebenso keine Chance auf einen zweiten Schluck. Sagen wir es mal so: Seine neapolitanischen Eigenschaften verteidigt er mit Händen und Füßen. Er ist dick, schwarz, kräftig, bitter und ein Arschtritt für das Nervensystem und den Mund.
Immerhin, falsche Werbung kann man ihm nicht vorwerfen. Es ist aber keine Kunst, Kaffeebohnen an den toten Punkt zu rösten und genau diese beschriebenen Eigenschaften zu erzeugen. Es wäre eine Kunst, trotz dieser Dunkelheit etwas Licht ins Spiel zu bringen. Mit leichter Süße zum Beispiel.
Wenn ihr mir jetzt vorwerfen möchtet, dass ich die anderen Mischungen auch noch hätte trinken sollen, dann halte ich dagegen: Was wäre damit gewonnen? Keine einzige der Mischungen erhält von mir eine Empfehlung oder auch nur einen Kauf-Link. Denn ich will einfach nicht, dass ihr diesen Unternehmen euer Geld in den Rachen werft.
Und mein Testtag hatte zum Beispiel mit dem Coffee Circle Grano Gayo so wunderbar begonnen und gezeigt, wie ein Espresso in italienischer Stilistik auch aussehen kann: sauber, spannend, elegant und mit einer sensationellen Samtigkeit. Zum wettbewerbsfähigen Preis, wohlgemerkt.
Warum sollte ich mich dann mit Scheiß begnügen? Und noch schlimmer ist: Warum haben die Italiener wie Illy und Barbera immer noch einen so guten Stand?
Ich glaube, das hat mehrere Gründe: Sie gehören zu den teuersten Brands im üblichen Supermarkt und werden deswegen als Premium-Produkt wahrgenommen.
Sie werden reflexartig mit der großen Kaffee-Historie Italiens assoziiert, die aber für die heutige Kaffeewelt in dieser Form keine Bedeutung mehr hat.
Und es herrscht noch wenig Aufklärung darüber, dass die „familiengeführten Betriebe“ riesige Konzerne mit fragwürdigen Methoden und vollständig undurchsichtigen Beschaffungsstrukturen sind.
Vielleicht liegt es auch am Glauben, dass italienischer Espresso von einer italienischen Marke kommen muss. Das halte ich für kompletten Murks. Papier darf ja auch nicht nur von chinesischen Unternehmen kommen, das Auto auch nicht nur von deutschen, oder?
Wie seht ihr das? Gibt es Ergänzungen, Widersprüche, Fragen oder Anregungen für meinen nächsten Rant im Zusammenhang mit der bunten Welt des Bullshit-Kaffees? Lasst es mich gern wissen!